Social-Media-Benimmkolumne – Was soll das mit den Twitter Circles nun wieder?

von Franziska Reuter

Twitter hat ein neues Feature ausgerollt: Circles. Damit können Nutzer*innen bei ihren Tweets einen kleineren Personenkreis festlegen, der sie exklusiv sehen können soll. Dieses neue Feature hat weite Teile des Netzwerks in Aufregung versetzt, was für Außenstehende unter anderem deshalb schwer zu verstehen sein dürfte, weil Facebook schon seit mehr als zehn Jahren eine viel avanciertere Variante davon anbietet. Aber der Reihe nach: Wo ist das Problem? Und wozu das alles überhaupt?

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Bis zu 150 Menschen erlaubt Twitter in einem Circle. Dass die Tweets exklusiv sind, erkennt man sofort an einem grünen Zeichen und einem Texthinweis. Man muss nicht lange nachdenken, um auf sinnvolle Verwendungszwecke zu kommen: Wenn jemand etwa seine gesundheitlichen oder mentalen Probleme nur mit Vertrauten teilen möchte, wenn jemand über seinen Job schimpfen möchte, ohne dass der Arbeitgeber davon Wind bekommt, wenn jemand in einem Sorgerechtsstreit Unterstützung und Rat braucht – wirklich viele gute Gründe sprechen für die Nutzung dieses Features. 

Die Idee ist wie erwähnt nicht neu. Facebook bietet schon seit Ewigkeiten die Kategorien „Enge Freunde“, „Bekannte“ und „Eingeschränkt“ an und lässt Nutzer*innen weitere Gruppen selbst erstellen. Aber Facebook war auch schon immer ein soziales Höllenloch, das von privaten Details lebte und gleichzeitig dazu ermunterte, die Kontaktliste immer mehr zu erweitern. Als noch fast alle ihre Posts ausschließlich für „Freunde“ sichtbar gestellt hatten, ergab sich dadurch ein trügerisches Gefühl der Intimität.

Twitter hingegen lebt davon, dass die Nutzer*innen ihre Meinungen und Erlebnisse gar nicht laut genug in die Welt hinausschreien können. Privatheit ist eher nicht vorgesehen. Deshalb gibt es auf Twitter auch so kostbare Cringe-Momente – etwa wenn man jemandem gerade erst gefolgt ist und der plötzlich einen detaillierten Thread darüber absetzt, warum seine letzte Beziehung gescheitert ist. Das Circle-Feature stellt eine Abkehr von Twitters Cocktailparty-Prinzip dar, bei dem die Gäste durcheinander reden, mit Fremden ins Gespräch kommen und irgendwie alles von allen mitbekommen. So erklären sich auch die Nöte, in die manche Nutzer*innen nun gestürzt wurden. Zuvorderst: FOMO, fear of missing out. Was bekomme ich nun nicht mehr mit, ohne davon auch nur zu ahnen? Nutzt diese Person Circle einfach nur nicht oder gehöre ich nicht dazu?

Aber es stellen sich eben auch Fragen der Höflichkeit. Wenn mich jemand in seinen Circle aufnimmt, muss ich das dann umgekehrt auch tun? Kann ich jemandem sagen, dass ich nicht in seinem Circle sein möchte, weil mir das alles zu privat ist und wir uns so gut nun auch nicht kennen? Darf ich meine engeren Freund*innen fragen, ob sie das Feature nutzen, und dann nervös durch ihre Profile scrollen und schauen, ob ich ihre Circle-Tweets sehen kann?

Einfache Antworten gibt es auf diese Fragen nicht, komplizierte aber schon. Zu ersten Frage: Wenn wir davon ausgehen, dass ein Circle wirklich so etwas ist wie ein Freundeskreis, dann wissen die Personen, die darin sind, im Idealfall von dieser Freundschaft und empfinden sie ebenso. Darf man das Gegenüber dann ausschließen? Wir alle kennen Menschen, die nie etwas Persönliches von sich erzählen, sich aber gerne von anderen mit privaten Geschichten unterhalten lassen. Das finden ihre Gesprächspartner*innen auf Dauer meist unangenehm. Wenn man sieht, dass man bei jemandem im Circle gelandet ist, sollte man also zumindest in Erwägung ziehen, die Person auch in den eigenen aufzunehmen. Ein Vertrauensvorschuss von einer Seite bringt ja manchmal die schönsten Freundschaften hervor.

Der zweite Punkt, Oversharing im Circle, ist besonders knifflig. Es gibt wie immer die friedvolle Lösung, die Person einfach stumm zu schalten. Aber dann entgehen einem alle ihre Tweets. Den Kontakt weiter zu pflegen wird dadurch fast unmöglich. Deshalb ist es keine schlechte Option, anzusprechen, dass einem die Circle-Tweets zu intim sind. Der Inhalt der Tweets spielt hier eine große Rolle. Bei allem, was nach landläufiger Auffassung eine Triggerwarnung bräuchte, würde ich sogar dringend dazu raten, es zu artikulieren. Wir überfallen auch unsere Bekannten nicht mit Horrorgeschichten, bei denen wir keine Ahnung haben, ob sie alte Wunden aufreißen. Und so verständlich es ist, dass jemand etwa nach dem Tod von Angehörigen Trost auf Twitter sucht, so sehr braucht es den Konsens aller Beteiligten, mehrmals täglich mit medizinischen Details und Trauer konfrontiert zu werden. Vor allem, da sie einen beim Scrollen durch die Timeline völlig unvorbereitet treffen können.

Kommen wir zur dritten Frage: Darf ich auffällig-unauffällig recherchieren, ob meine engen Freund*innen mich womöglich nicht in ihren Circle aufgenommen haben? Ja, selbstverständlich darfst du das, aber bitte tu es trotzdem auf keinen Fall. Du rufst auch nicht deine Freund*innen zum Geburtstag an und fragst, ob sie wirklich nicht feiern oder dich nur nicht eingeladen haben. Freundschaften sollten nicht von der Angst geprägt sein, ausgeschlossen zu werden, und wenn sie das aus guten Gründen doch sind, ist es Zeit für ein ernstes Gespräch, in dem die Worte Twitter und Circle nicht vorzukommen brauchen. Wenn es sich hingegen nur um anlasslose Unsicherheit handelt, sollte man ihr nicht so viel Raum geben, sondern lieber mal wieder ein Treffen, ein Telefonat oder einen längeren Chat initiieren. Im Zweifelsfall fühlt man sich der Person danach deutlich näher, als ein Twitter Circle das jemals schaffen könnte.

Eine vierte Frage stellen sich vielleicht gerade nicht so viele, aber sie ist ausgesprochen wichtig: Was soll das überhaupt, was macht Twitter da? Zum einen scheint die Plattform endlich begriffen zu haben, dass ihre Nutzer*innen sich mehr Schutz wünschen. Noch vor ein paar Jahren wurde sogar strafrechtlich relevantes Verhalten auf Twitter kaum verfolgt, weil das Unternehmen die Ermittlungen nicht unterstützte. Dann kamen das Netzwerkdurchsetzungsgesetz und mit ihm auch bessere Möglichkeiten, sich gegen Hassnachrichten zur Wehr zu setzen. Nur möchte man sich nicht immer zur Wehr setzen müssen. In der Hinsicht ist das neue Feature eine gute Sache für die Nutzer*innen.

Twitter selbst könnte jedoch auch tiefer liegende Interessen haben. Die Übernahme der Plattform durch Elon Musk wurde abgesagt, angeblich weil die Zahl der Nutzer*innenkonten und die Zahl der wahren Nutzer*innen zu weit auseinander lägen. Nun gibt es etliche Gründe, warum eine Nutzer*in mehrere Accounts haben könnte. Die meisten davon sind vollkommen ehrenwert und haben mit politischer Hetze oder Shitposting nichts zu tun. Viele Menschen unterhalten neben ihren Hauptaccounts kleine Dark Accounts, die mit einem Schloss versehen sind und nur eigens bestätigte Follower*innen aufnehmen. Ein solcher Dark Account ist nicht mehr nötig, wenn man den Circle einrichtet. Das bedeutet, Twitter könnte mit der Zeit mehr Überblick über die Anzahl seiner Nutzer*innen gewinnen. Gleichzeit erhöht es das Risiko für die Nutzer*innen im Fall eines Datenlecks: Die heiklen Tweets wären zweifelsfrei zuzuordnen. Ob das nur leicht peinlich wäre oder existenzbedrohend, und ob man der Datensicherheit genug vertraut, um das Risiko einzugehen, muss jede selbst entscheiden.

Foto von Wilhelm Gunkel auf Unsplash

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