Schwierigkeitsgrade – “Gamer” und Exklusivität

von Aurelia Brandenburg

Was ist ein wirklich “schweres” Spiel? Ist es so etwas wie Dark Souls, das bis zum Meme zitierte Paradebeispiel für Spiele, die viel Geschicklichkeit verlangen? Ein Spiel wie Crusader Kings 3 mit der Komplexität seiner Spielmechaniken? Oder wie Cuphead, das 2017 sogar eine eigene Kontroverse über Schwierigkeitsgrade auslöste? Oder ist es am Ende doch eher so etwas wie Sims 4? Natürlich, Sims gilt als digitales Puppenhaus gerade nicht als “schweres Spiel”, aber eigentlich ist es ein Paradebeispiel dafür. Es gibt schließlich wenige Spiele, die von mir so viel, so knallhartes Management verlangen, um meine Sims erfolgreich durchs Leben zu bringen. Um die Reihe hat sich schon seit Jahren eine sehr intensive Community gebildet, die Challenges wie etwa die “100 Baby Challenge” veranstaltet, eine ganze Szene bekannter und beliebter Streamer*innen vorweisen kann und sich sogar teils sehr detailliert über die komplexe Lore der Spiele austauscht. Dazu kommt, dass der erste Teil der Reihe schon 2000 erschienen ist und die Sims ohnehin eigentlich schon längst Kult sind. Eigentlich erfüllt Sims mehr oder weniger alle Voraussetzungen, um als klassischer Fall eines herausfordernden Spiels zu gelten. Eigentlich.

Das Dark Souls der Dark Souls

Tatsächlich lässt es sich nicht so einfach auf einen einzelnen Grund herunterbrechen, warum Sims im Vergleich zu Dark Souls oder anderen Spielen meistens nicht als klassisches “schweres Spiel” gilt. Ein Faktor ist aber, wie in digitalen Spielkulturen Ideen von Schwierigkeit häufig diskutiert und wahrgenommen werden. Die Idee, Spieler*innen müssten ein Spiel “gewinnen” oder “durchspielen”, ist tief in den verschiedenen Ausprägungen dieser Kulturen verwurzelt. Nur wer ein Spiel wirklich “beherrscht” und “gut” darin ist, sieht das Ende und um das auch nach außen tragen zu können, haben inzwischen die meisten Plattformen Systeme eingerichtet, in denen ich die Achievements und sogar die Spielzeiten meiner Freund*innen einsehen kann. Wer besonders viel Zeit und Energie investiert, kann so z. B. besonders seltene und schwere Achievements wie einen Orden wenigstens ein bisschen nach außen tragen und demonstrieren, das entsprechende Spiel “geschlagen” zu haben.

2017 sah sich der langjährige Spielejournalist Dean Takahashi einem Shitstorm ausgesetzt, weil er ein Video gepostet hatte, in dem er sich darüber lustig machte, wie er in Cuphead verlor, das ohnehin allgemein als recht schweres Spiel gilt. Was eigentlich mehr selbstironisch gemeint war, eskalierte zu einer größeren Debatte, ob Spielejournalist*innen denn schlecht in Spielen sein “dürften”, um darüber berichten zu können und zu dürfen – eine Debatte, die kaum absurder hätte anmuten können, wenn man ein wenig darüber nachdenkt. Cuphead ist ein Spiel, bei dem Geschicklichkeit und die damit verbundene Herausforderung zum Verkaufsargument gemacht wurden, das aber gleichzeitig auch einen Art Style hat, der klar von Cartoons der 1930er Jahre inspiriert war. Wie über die meisten Spiele ließe sich auch über Cuphead auf ganz unterschiedliche Weise etwas sagen und Geschicklichkeit und Zugänglichkeit waren jeweils immer nur ein einzelner Punkt auf einer langen Liste. Trotzdem diskutierte 2017 das halbe Internet darüber, ob Spielejournalist*innen “gut” in Spielen sein müssten. Denn “gut” spielen, das war offenbar eine grundlegende Qualifikation, um Expert*in für Spiele sein zu dürfen.

Geburt und Tod des “Gamers”

Diese Idee von Gaming als Meritokratie – einer “toxic meritocracy”, wie sie Christopher Paul nennt – ist sehr eng mit Ideen einer ganz bestimmten Art von toxischer Nerd-Maskulinität verbunden, die zwar schon seit einer Weile immer mehr an Bedeutung verliert, aber trotzdem noch lange nicht verschwunden ist. Um im Gaming mitreden zu dürfen, muss man sich auskennen, Zeit (und damit auch Geld) investiert haben, vor allem die richtigen Spiele gespielt und sie im besten Fall auch noch gut gespielt und ein paar Schlüsselerfahrungen mitgemacht haben, die sich jetzt gut in Anekdoten oder sogar einen kruden gemeinsamen Leidensweg umdeuten lassen. 

Wer älter als zwanzig ist, darf im besten Fall noch mild über die goldenen Zeiten der LAN-Partys oder – noch besser – des Super Nintendos oder des C64 sinnieren und erzählen, wie man “damals” denn so gespielt hat. Spielejournalisten, die schon länger im Geschäft sind, werden auch gern mal “Veteranen” genannt und inszenieren sich teils auch entsprechend. Was in dieser Verklärung insbesondere der 90er und frühen 00er Jahre in der Regel fehlt, ist, dass diese Romantisierung sich meistens vor allem dadurch auszeichnet, dass die Protagonisten dieser Anekdoten auffällig “unter sich” sind. Manchmal kommt es auch vor, dass ein Teil dieser Männer das durchaus kritisch reflektiert, aber diese Fälle sind selten und sie ändern wenig am grundlegenden Befund. Die Idylle der frühen Gaming- und eines guten Teils der Retro-Kultur lebt nicht nur, aber auch von der Abwesenheit von allen, die gerade in den 90ern und 00ern nicht als klassische “Gamer” galten: Frauen, People of Color, behinderte Menschen, queere Menschen – eigentlich alle, die eben keine weißen, ablebodied, cis Männer waren.

Tatsächlich muss man, um verstehen zu können, warum Gaming ein so merkwürdiges Verhältnis zu Schwierigkeitsgraden und Leistung hat, erst einmal verstehen, wie dieser Leistungsgedanke eigentlich konstruiert wurde und für wen. Denn Leistung als etwas, das unumgänglich ist, um an digitalen Spielen als Medium teilzuhaben, hängt direkt mit der Geburt des “Gamers” als heteronormativ gedachter, weißer, cis Junge oder Mann in den 80ern und 90ern zusammen – eben jener Zeit, die jetzt häufig als Teil von Retro-Kultur romantisiert wird. Und umgekehrt ist auch der schleichende Untergang des “Gamers”, wie er in dieser Zeit erfunden wurde, einer der Gründe, warum diese Perspektive inzwischen immer mehr an Bedeutung verliert. Deshalb ist hier eine kleine Geschlechtergeschichte digitaler Spiele nötig, und ein paar Fragen, wo wir in dieser Geschichte heute stehen.

Das Königreich eines Baumhauses

Digitale Spiel(e)kultur, so das gängige Narrativ, war nicht immer das Baumhaus toxischer Nerds, als das Gaming lange galt und häufig immer noch gilt. Stattdessen wurden (Tele-)Spiele als eine Art Spielzeug für die ganze Familie vermarktet – wie etwa auch Brettspiele. Noch bis in die 80er Jahre hinein traten z. B. in Werbeclips ganz selbstverständlich nicht nur Kinder als Spieler*innen auf, sondern auch ihre Eltern, inklusive ihrer Mütter. Diese Betonung der Mütter, aber auch von Mädchen und Frauen im Allgemeinen, ist deswegen wichtig, weil sich das mit der Mitte der 80er Jahre mehr und mehr änderte. 

Jetzt waren es merklich nur noch (weiße) Jungs und Männer, die zur primären Zielgruppe der Branche erklärt wurden, und spätestens mit den späten 90er Jahren und Phänomenen wie der Sexualisierung von Lara Croft wurden Spiele endgültig als Domäne von weißen, heterosexuellen Männern inszeniert. Das bedeutet natürlich nicht, dass nur weiße, ablebodied, cis Jungs und Männer Spiele gespielt hätten, ganz im Gegenteil. Es bedeutet nur, dass gerade in den 80er und 90er Jahren die Gamingbranche im Allgemeinen für sich definiert hat, wer für sie Priorität und Sichtbarkeit bekommen sollte. Und das waren nun einmal in der Regel nicht Frauen und Mädchen – von queeren Menschen außerhalb dieser Kategorien ganz zu schweigen.

Damit waren digitale Spiele nicht allein. Die 90er Jahre waren auch die Zeit, in der Spielzeug im Allgemeinen immer stärker gegendert wurden, Informatik und ganz allgemein alles mit Computern – ursprünglich einmal eine klare Frauendomäne, als es da noch keinen Ruhm zu holen gab – hatte sich schon mit den 70er und 80er Jahren als Männerdomäne selbst neu erfunden und auch andere Nerd-Nischen wie etwa Pen & Paper wurden mehr und mehr mit Klischees von einer Form von pickeliger, sozial unbeholfener Männlichkeit verknüpft, wie sie sich auch in digitaler Spielkultur spiegelte. 

Dungeons & Dragons hatte mit der Panik vor Magie und angeblichem Satanismus der 80er Jahre sogar schon eine Art Killerspieldebatte durchgemacht, bevor diese Debatte in ihrer digitalen Version überhaupt aufkam. Digitale Spiele waren und sind also nichts Besonderes, jedenfalls nicht in dem Sinne, dass sie einzigartig wären. Vielmehr lassen sich diese Entwicklungen gut damit erklären, wie viel Nerdkultur zwischen 1980 und 2000 als männlich dominiert imaginiert und inszeniert wurde. Das Baumhaus wurde gebaut und den Nerds, die dieses Baumhaus bevölkern sollten, wurde vermittelt, sie seien die Könige dieses kleinen Reichs. Und Könige haben nun einmal in der Regel den Anspruch, allein zu herrschen.

Nur wurde diese Alleinherrschaft über das Baumhaus digitaler Spiele schon mit den 00er Jahren gleich doppelt bedroht: Einmal, weil mit der wachsenden Bedeutung des Mediums sich nun auch Leute außerhalb von Fans und Branche dafür zu interessieren begannen und nicht alles Interesse positiv war, und zum anderen, weil die Spielebranche selbst ihren Horizont zu erweitern begann. 

Killerspiele, Facebook und das iPhone

Unter anderem ausgelöst von Amokläufen wie der an der Columbine High School von 1999 kamen nun Diskussionen auf, wie sie im kleineren Rahmen auch schon über Dungeons & Dragons geführt worden waren: Spiele seien gewaltverherrlichend, würden süchtig und einsam machen und vor allem zu sehr die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen lassen, weshalb sie nicht einfach nur ein Spielzeug, sondern eine reale Gefahr seien. Eltern eines Teils der Opfer des Columbine Massakers klagten sogar gegen insgesamt 25 Videospielfirmen, die sie mit für den Amoklauf verantwortlich machten – ohne Erfolg. 

In Deutschland wurde das Verbot von “Killerspielen” 2005 trotzdem sogar explizit in den Koalitionsvertrag von Union und SPD aufgenommen, auch wenn schon damals unklar war, was denn nun eigentlich “Killerspiele” juristisch gesehen sein sollten. Das Baumhaus stand also jetzt nicht nur unter Beobachtung, es wurde sogar belagert und dabei noch gedroht, es abzureißen. Und nachdem in Deutschland auch zuvor schon einzelne Spiele wie etwa Wolfenstein 3D (id Software 1992) für ihre Gewaltdarstellungen als jugendgefährdende Medien indiziert worden waren, erschien diese Angst auch nicht komplett unbegründet.

Ironischerweise waren es keine Gewalt- oder Killerspieldebatten, die “den Gamer” der 80er und 90er Jahre tatsächlich bedrohten und schließlich seinen Untergang einläuten sollten. Diese Diskussionen verliefen sich mit der Zeit weitgehend, auch weil die Forschung nach wie vor keine direkte Kausalität zwischen digitalen Spielen und Amokläufen herstellen kann. Stattdessen wurde die Gamesbranche nun mehr und mehr politisch als Wirtschaftsfaktor interessant und für Politiker*innen wie etwa Andreas Scheuer, der 2005 noch betont hatte, dass Killerspiele nichts im Kinderzimmer verloren hätten, wurde es nun viel bequemer, sich für die Branche einzusetzen und so einen IT-Wirtschaftszweig in Deutschland zu fördern. Was stattdessen deutlich gefährlicher für die Könige des Baumhauses wurde, waren andere Dinge – MySpace, Facebook, Apple und Nintendo.

Casual Games und der Untergang des “Gamers”

Mitten in dieser Bedrohung eines möglichen Verbots veränderte sich jetzt auch noch einmal komplett, wer denn nun wo und wie spielte und damit am Medium im Allgemeinen teilhaben konnte und “durfte”. 2006 veröffentlichte Nintendo mit der Wii eine Konsole, die ganz gezielt wieder die gesamte Familie ansprechen sollte. Spiele wie Wii Sports wurden nun als Erlebnis für alt und jung vermarktet und statt zu betonen, wie viel Zeit, Energie und Wissen Spieler*innen zu investieren hätten, um diese Spiele zu spielen, und wie überlegen und hardcore Spieler*innen deshalb seien, stand merklich die einfache Zugänglichkeit im Vordergrund. Parallel dazu begann mit Apples erstem iPhone 2007 der Aufstieg der Smartphones und damit auch des Marktes der Mobile Games, während gleichzeitig Computer und Internet im Allgemeinen so weit verbreitet waren, dass es schon länger nicht mehr eine Konsole brauchte, um digitale Spiele spielen zu können. Die Ära der Flash Games wie Bejeweled (PopCap Games 2000) war längst da, auch wenn parallel noch immer die “Konsolenkriege” als ein künstliches Marketingtheater zwischen unterschiedlichen Konsolenherstellern (mehr oder weniger) tobten.

Noch vor der Veröffentlichung der Wii war außerdem 2004 Facebook gegründet worden, 2008 überholte es MySpace in seinen User*innen-Zahlen und ab 2007 gab es dort schon Spiele. Auch auf MySpace hatte es schon Spiele gegeben, aber Facebooks Aufstieg verlief nun parallel mit dem der Smartphones und damit auch des Mobile Gamings. Hier fanden Spiele wie FarmVille (Zynga 2009), Angry Birds (Rovio Entertainment 2009) und später Candy Crush (King Digital Entertainment 2012) ihr Zuhause und ihre Zielgruppe: Leute, die zwar – wie bei der Wii – gerne mal etwas spielten und sich damit die Zeit vertrieben, aber dafür keine gesteigerte Leidenschaft entwickelten oder entwickeln wollten. Nach “dem Gamer” der 80er und 90er, der in der gängigen Imagination jung, weiß, cis und männlich war und bereit sein musste, viel Zeit und Geld in Spiele zu investieren, um sie nicht nur zu spielen, sondern auch noch gut zu spielen, trat nun eine bis dahin vollkommen unsichtbare Art von Spieler*innen ins Licht, die man bis dahin weitgehend ignoriert hatte: Casual Gamers.

Im Kern ist schon der Begriff des “Casual Gamer” nicht ganz unproblematisch, denn er ergibt nur Sinn, wenn man ihn mit seinem Gegenstück denkt: “Core Gamer”. Diese Aufteilung in echte und weniger echte Spieler*innen war der erste und teils ärgerlich effektive Versuch, Kontrolle über die Deutungshoheit über das Medium digitaler Spiele zu bewahren oder da, wo sie bereits zu bröckeln begann, doch noch zurückzuerlangen. Denn während mit den teils hohen Zugangshürden aus Geld, Zeit und allgemeinem Misstrauen, mit dem Spielefirmen teils auch kokettieren, bisher Gaming als etwas Exklusives imaginiert werden konnte, hielt diese Illusion nun nicht mehr der Realität stand. Spiele waren schlicht nichts, zu dem nur ein ausgewählter Kreis derer Zugang hatte und haben durfte, die sich selbst bewiesen und dafür am besten noch einen Leidensweg aus spielerischen Fähigkeiten und Spott von außen beschritten hatten. 

Nintendo wollte nun wieder, dass die gesamte Familie Spiele spielte und deshalb die Wii im Gegensatz zu anderen Konsolen kaufte. Facebook wollte, dass man seine halbe Freundesliste zu FarmVille einlud, weil das seine User*innen auf der Seite hielt. Und mit Smartphones und Tablets waren jetzt auch Zeitfresser, die sich aber in kleine Sessions einteilen ließen und so bald ihren Entwickler*innen-Studios viel Geld einbringen sollten, für immer mehr Menschen jederzeit greifbar. Spiele im Allgemeinen waren inzwischen vieles, aber garantiert nicht mehr exklusiv. Sie waren endgültig zum Massenmedium geworden.

Diese Entwicklung war ein Wendepunkt in der Art, wie dominante digitale Spielkulturen wahrgenommen wurden – mehr als es jede Killerspieldebatte je sein konnte. In der Killerspieldebatte hatten eingefleischte Fans des Mediums am Ende immer die Wissenschaft auf ihrer Seite. Es ließ sich schlicht nicht auf seriöse Weise eine direkte Kausalität zwischen Amokläufen und Spielen herstellen und auch historisch gesehen war so eine Panik um ein als neues Medium eigentlich nur vorhersehbar. Der Aufstieg der Casual Games dagegen und das Öffnen des Marktes durch die Branche selbst bedrohte ganz direkt das, was fast 30 Jahre lang als dominante und vor allem nahezu alternativlose Kultur und Definition von Gaming und Gamern gegolten hatte. Die Illusion von Gaming als etwas, das in erster Linie weißen cis Männern und Jungs gehörte, die dieses Hobby wiederum gegen ihre Mütter und Freundinnen zu verteidigen hatten, bröckelte. Denn “now, of course, mom doesn’t want to take our games away. She wants to play them.” 

Nazis, Nerds und Gaming: #GamerGate

Wie das so ist, kaum ist eine Idee in der Welt, lässt sie sich nur schwer wieder einfangen. Mit Einteilungen wie “Casual” und “Core Gamer”, von denen erstere angeblich keine Relevanz für den Gamesmarkt und den Diskurs haben sollten, weil sie ja nicht die “richtigen” Spiele spielten, schaffte man es erst einmal recht erfolgreich, Mobile Games und ähnliches. In dominanten Diskursen in der Fachpresse zur Seite zu schieben, doch ihr Erfolg ließ sich trotzdem nicht mehr aufhalten. Anders als in den 90er Jahren, als es schon z.B. eine Welle von Pink Games wie etwa Barbie Riding Club (Human Code 1998) gegeben hatte, die danach sehr schnell in Vergessenheit gerieten, forderten nun immer mehr Menschen außerhalb alter Definitionen von “Gamern” Sichtbarkeit für sich und die Spiele ein, in denen sie sich wiederfanden. Gaming war nie eine reine Männerdomäne gewesen, aber jetzt wurde es schlicht mehr und mehr unmöglich, auch nur diese Illusion aufrechtzuerhalten. “Der Gamer” erlebte nun seine größte Autoritätskrise seit seiner Erfindung in den 80ern und 90ern – und schlug dementsprechend ziemlich bald, ziemlich heftig zurück. GamerGate wurde geboren.

Zu GamerGate selbst, einer reaktionären Hashtagkampagne grob 2014-2016, ist inzwischen, knapp neun Jahre später, schon fast alles und dennoch häufig noch viel zu wenig gesagt worden. Leute, die der Kampagne nahe stehen, behaupten zwar bis heute gerne, dahinter hätte sich ein dringend notwendiger und apolitischer (oder sogar heimlich progressiver) Aufstand “der Gamer” gegen die angeblich linksradikale und korrupte Spielepresse verborgen, aber dieser Mythos hält weder 2014 noch 2023 der Quellenlage stand. In GamerGate fand sich in Form eines rachsüchtigen Ex-Freundes, rechten (Gaming-)YouTubern, Neo-Nazis und schließlich Breitbart und ein paar Stars der späteren Alt-Right schnell eine effektive “Allianz der Anti-Feministen” zusammen, die nun auf einem breiten Spektrum von simpler Misogynie bis hin zu offener rechtsradikaler Propaganda insbesondere Frauen und queere Menschen angriff.

Die Kampagne war laut, rücksichtslos und zog in ihrer Intensität eine Schneise der Verwüstung sowohl durch die Lebensläufe ihrer Angriffsziele als auch durch die Gamesbranche, ihren Journalismus und in gewisser Weise auch “die” Internetkultur im Allgemeinen. Als MeToo 2017/18 diverse Kreativbranchen beschäftigte, war es ausgerechnet im Gaming und damit einer Kultur und Branche, die berüchtigt für ihre Misogynie ist, überraschend still. Das änderte sich später, doch das geschah nicht (hauptsächlich) durch investigativen Journalismus, der auch dann nicht immer eine gute Figur machte, sondern durch Social Media, wo sich insbesondere Frauen zusammenfanden und ihre Geschichten erzählten. Das war kein Zufall: GamerGate hatte auch unter diesem Aspekt das Vertrauen vieler in die Fachpresse erschüttert, nachdem diese teils (zu) spät oder nie Position gegen die Kampagne bezogen hatte. Oder, wie Keza McDonald es 2018 formulierte: “Is it any wonder that women do not trust reporters with their stories now? Why does it feel like the games industry is only interested in what women have to say when it’s about their trauma?”

Das Ende der Nerds, wie sie einmal waren

Auch damit war Gaming im Grunde nicht allein. Das Internet und insbesondere Blogs und Social Media machten es in vielen klassischen Nerd-Bereichen immer schwieriger, die große Gruppe zu ignorieren, die eben nicht der Schablone des weißen, cis-männlichen und ablebodied Nerds entsprachen, aber trotzdem bewusst Raum in diesen Bereichen einnahmen und sich mehr und mehr weigerten, auch nur so zu tun als ob sie diesen Raum nicht verdient hätten. 2013 bis 2017 gab es in der englischsprachigen Phantastik-Szene z.B. die sogenannte “Sad Puppies”-Kampagne, die sich gegen Diversität bei den Hugo Awards einsetzte und einzelne Kategorien kaperte, bis notgedrungen die Nominierungsregeln der Hugos angepasst wurden. 

Auch Phänomene wie die reaktionären Backlashes zu den neuen Star Wars-Filmen ab 2015 spielten nach ähnlichen Regeln. Die Illusion des “Nerds” als missverstandener, junger Mann, der entgegen aller Neider und Angriffe seinen Hobbys treu geblieben war, steckte in allen möglichen Subkulturen in der Krise. GamerGate war nur die Kampagne, die sich dadurch besonders hervortat, dass sie zum erfolgreichen Testlauf einiger Größen der amerikanischen Alt-Right und Verschwörungsideologen wurde.

Das bedeutet nicht, dass GamerGate eigentlich nur von außen vereinnahmt worden wäre, ganz im Gegenteil. Die Propaganda der Kampagne in Form von Memes war von Anfang an voller Antisemitismus, Misogynie und Rape Jokes. Kernelemente wie der Strohmann der “ethics in (games) journalism” oder die Autoritätskrise weißer cis Männlichkeit waren vielleicht anschlussfähig bei Leuten und Strömungen weit über die Gamesbranche hinaus, doch auf inhaltlicher Ebene drehten sich ihre härtesten Kämpfe immer um den Untergang der Illusion “des Gamers” als König seines eigenen, exklusiven kleinen Baumhauses. 

Der von GamerGate-Anhänger*innen bis heute gerne mal propagierte (wenn auch faktisch falsche) Gründungsmythos der Kampagne orientiert sich auch nicht grundlos an einem Artikel der Journalistin Leigh Alexander vom August 2014. Denn in ihrem Artikel sprach Alexander das offen aus, was sich zu diesem Zeitpunkt seit zehn Jahren mehr und mehr abzeichnete: “’Gamers’ don’t have to be your audience. ‘Gamers’ are over.”

Mit dieser Ansage wurde Alexander zu einem der Lieblingsziele von GamerGater*innen, die zu ihren Hochzeiten recht regelmäßig ihre aktuellen Feind*innen bedrohten, ihre Accounts zu hacken versuchten und sie auf Plattformen wie Twitter mit Hass überschwemmten. Die prominentesten Ziele dieses Hasses einte dabei fast immer, dass sie die Idylle des Baumhauses und die Illusion störten, nach der digitale Spiele und ihre Kulturen “den Gamern” im Sinne von weißen cis Männern angeblich “gehörten”. Leigh Alexander sprach schlicht aus, dass “Gamer” als Label sich im Grunde längst selbst überlebt hatte. 

Anita Sarkeesian bewies mit ihrer YouTube-Reihe “Tropes vs. Women” und dem ausgesprochen erfolgreichen Crowdfunding dazu, dass es ein nennenswertes Interesse an feministischer Spielkritik gab und gibt. Zoe Quinn hatte als Indie-Entwickler*in auf verschlungenen Pfaden in die Branche gefunden und sich dann vor allem mit einem verhältnismäßig obskuren Spiel über Depressionen einen Namen gemacht. Die Liste ließe sich erweitern, doch wenn sich an der Werbung der 80er Jahre beobachten ließ, wie “der Gamer” geboren und sein Baumhaus errichtet wurde, dann konnte man mit GamerGate beobachten, wie das Baumhaus zusammenbrach und eine Gruppe, die “Gamer” offensichtlich tatsächlich als richtige Identität zu begreifen schien, verzweifelt versuchte, mit den Trümmern noch die Reste ihrer Deutungshoheit zu verteidigen, während alle anderen es sich eigentlich schon auf dem Boden bequem gemacht hatten.

Die Illusion der Meritokratie

Und damit sind wir wieder bei der toxischen Meritokratie und dem Leistungsgedanken, der sich unter anderem durch viele Schwierigkeitsgrad-Debatten im Gaming zieht. Mit dem schleichenden Untergang des “Gamers” ging auch eine Form männlicher Nerds unter, der dem klassischen Klischee nach zwar in seiner eigenen kleinen und damit exklusiven Nische brillierte, aber zugleich auch als potentieller Amokläufer diffamiert oder wenigstens von Nicht-Nerds verspottet wurde. 

Damit war der “Gamer” nicht allein: Das MCU explodierte zu einem riesigen Erfolg, Serien wie The Big Bang Theory erklärten den Archetyp des verspotteten, unbeholfenen Genies, der auf Science Fiction und Videospiele stand, zum Helden und das, was einmal eine nischige Nerdkultur gewesen war, wurde zum Massenphänomen. Um zu den Fans von Hobbys wie Gaming dazuzugehören, musste man nicht einmal mehr oberflächlich etwas leisten, vielmehr knacksten Internet und Feminismus der Dritten Welle immer mehr die Illusion an, dass Nerds deshalb unter sich gewesen waren, weil sie in irgendeiner Art “besser” als andere gewesen waren. Der klassische männliche “Gamer” war nie unter sich gewesen, weil er einfach besser spielte als alle anderen, sondern weil alle anderen wahlweise nicht mitspielen durften oder nicht mit ihm spielen wollten.

In GamerGate ließ sich der Höhepunkt der Krise des “Gamers” und vor allem die Autoritätskrise weißer, cis Männlichkeit im Gaming beobachten, in den Jahren seitdem zeigen sich vor allem mehr und mehr Ergebnisse seines schleichenden Untergangs. Spieler*innen fordern inzwischen mehr und mehr Zugänglichkeit und Diversität. Für die Branche ist eine künstliche Exklusivität, mit der man in den 90er Jahren noch versucht hatte, Kund*innen zu binden, längst nicht mehr so attraktiv wie früher, auch wenn so manche Bemühungen von einigen Studios mehr Theater und Kosmetik sind, hinter der wenig Handfestes steckt. 

Gleichzeitig haben Indie-Entwickler*innen mit häufig kleinen, aber experimentellen und damit für ein informiertes Publikum oft besonders interessanten Spielen den Markt weiter geöffnet und in einer Welt, in der Mobile Games ohnehin Alltag sind und Spiele wie Animal Crossing im ersten Corona-Lockdown zum weltweiten Hype werden können, muten Vorstellungen von Exklusivität ohnehin immer absurder an. Es gibt sie noch immer, diese Strömungen, die mit Vorstellungen von “echten Gamern”, die sich diesen Status auf irgendeine Weise verdient haben, versuchen, eine Deutungshoheit für sich zu beanspruchen, doch die realistischen Chancen darauf sind schon lange verloren.

Heute passiert es immer seltener, dass Schwierigkeitsgraddebatten noch eskalieren. Das ist direkt mit diesem Untergang des “Gamers” oder wenigstens seiner Dominanz verbunden. Inzwischen sind wir an dem Punkt, an dem auch dank der Arbeit von behinderten Aktivist*innen und ihre Bemühungen um Barrierefreiheit immer nuancierter darüber diskutiert wird, was “Schwierigkeit” oder “Zugänglichkeit” eigentlich zu bedeuten haben und wie man durch möglichst detaillierte Einstellungen den Schwierigkeitsgrad möglichst individuell einstellen kann. Der Weg, den Spiele zu gehen haben, ist noch weit und die Illusion der Meritokratie ist bei weitem noch nicht vollends verschwunden, aber sie bröckelt. So wie es im Moment aussieht, kann es gut sein, dass sie früher oder später von allein verloren geht – und das wäre nicht einmal das Schlechteste.

Foto von Jeff Hardi auf Unsplash

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