Guilty Pleasures – Die Dornenvögel revisited

von Cecilia Colloseus

CN/TW: Grooming, katholische Kirche, sexualisierte Gewalt, Inzest

Die Dornenvögel gilt weltweit als eine der meistgesehenen Miniserien aller Zeiten. Im Frühjahr 1983 wurde der Vierteiler, basierend auf dem 1977 erschienenen Roman von Colleen McCollough, erstmals ausgestrahlt. Als sogenannter Straßenfeger holte das als Vom Winde verweht Australiens bezeichnete Epos auch in Deutschland ein Millionenpublikum vor die Fernsehbildschirme. Bereits vor der Ausstrahlung sorgte es aber auch für kontroverse Diskussionen und erntete harsche Kritik.

Kirchenvertreter auf der ganzen Welt sahen in der Geschichte um die Beziehung zwischen einem Priester und einer jungen Frau einen Affront gegen die katholische Kirche. Der Skandal wurde vor allem in der Verletzung des Zölibats gesehen, die in der Miniserie gezeigt wird. Auch der Zeitpunkt der US-Erstausstrahlung (in der Karwoche 1983) wurde als problematisch erachtet. Dass in der Verfilmung des Bestsellers die „romantische“ Annäherung zwischen einem Priester und einem neunjährigen (!) Kind ein zentrales Handlungselement ist, wurde damals hingegen mit keinem Wort thematisiert, geschweige denn problematisiert.

Vor dem Hintergrund der sexualisierten Gewalt und ihrer Vertuschung in der katholischen Kirche, die in den vergangenen Jahrzehnten – im deutschsprachigen Raum vor allem seit 2010 – bekannt wurde, wären weder der Roman und seine Verfilmung noch die damals geäußerte Kritik daran heute denkbar. Und es ist durchaus erstaunlich, dass es in der Zwischenzeit keinerlei öffentliche kritische Auseinandersetzung mit der Miniserie gab. Immerhin werden die vier jeweils zweistündigen Filme seit 1983 immer wieder im deutschsprachigen Fernsehen wiederholt. Andererseits nimmt es aber auch nicht wunder, dass eine öffentliche Rückschau ausblieb, galten doch der Roman und seine Verfilmung als seichte „Frauenliteratur“, als „sentimentale Unterhaltung, die an der Wirklichkeit vorbeizielt“ und deshalb nicht der Rede wert sind.

Ich will zum einen versuchen, die kritische Debatte um den Bestseller und seine Verfilmung – zumindest im Kleinen – nachzuholen. Ich beschäftige mich mit Grooming, grenzverletzendem Verhalten, sexualisierter Gewalt und Machtmissbrauch in der katholischen Kirche. Zum anderen begebe ich mich aber auch auf die Suche nach Antworten, woher die Faszination für das Werk kommt, und befasse mich mit seinen homoerotischen Subtexten, dem Female Gaze, der (katholischen) Camp-Ästhetik und der „Hot Priest“-Trope. 

„Love. Unattainable. Forbidden. Forever.” – Die zentrale Handlung

New South Wales 1915: Der junge irische Priester Ralph de Bricassart wurde wegen Ungehorsams gegenüber seinem Bischof nach Australien versetzt. Dort wird er von der wohlhabenden Großgrundbesitzerin Mary Carson protegiert. Die beschließt, ihren mittellosen Bruder Paddy Cleary mit seiner Familie als Pächter ihrer Schaffarm Drogheda einzusetzen, für die Ralph als Pfarrer zuständig ist.

Bereits bei ihrer ersten Begegnung fühlt Ralph eine besondere Verbindung zu Paddys einziger Tochter, der neunjährigen Meghann (genannt Meggie). Da sie von der Familie vernachlässigt wird, nimmt sich der junge Priester ihrer an. Ralph und Meggie bauen eine enge emotionale Beziehung auf. Je älter Meggie wird, desto deutlicher wird, dass sich beide auch erotisch zueinander hingezogen fühlen. Das bleibt Mary Carson nicht verborgen, die den als besonders attraktiv geltenden Ralph ebenfalls begehrt. Unmittelbar vor ihrem Tod sorgt sie durch eine Testamentsänderung dafür, dass Ralph dazu gezwungen wird, Karriere in der katholischen Kirche zu machen (ja, das ergibt keinen Sinn). Er verlässt Drogheda, um zunächst Bischof von Sydney und später Kurienkardinal zu werden, d.h. ein hochrangiger Beamter im Vatikanstaat. Die tief verletzte Meggie heiratet den Tagelöhner Luke O’Neill, der eine vage äußerliche Ähnlichkeit mit Ralph hat, und bekommt die gemeinsame Tochter Justine. Luke hat jedoch keinerlei Interesse am Familienleben und bringt Meggie als Haushälterin bei einem befreundeten Paar unter, um selbst auf einer Zuckerrohrplantage zu arbeiten.

Als Meggie zu einem Erholungsurlaub auf die australische Insel Matlock geschickt wird, kommt es zum Wiedersehen und einer kurzen leidenschaftlichen Affäre mit Ralph. Der entscheidet sich jedoch erneut gegen Meggie und für sein Leben als geistlicher Würdenträger. Nach ihrer Rückkehr von Matlock Island schläft die nun von Ralph schwangere Meggie ein letztes Mal mit Luke, um keine Spekulationen um ihre Schwangerschaft aufkommen zu lassen, und lässt sich scheiden. Mit ihrer Tochter und dem neugeborenen Sohn Dane kehrt sie zurück nach Drogheda. 

Nach einem Zeitsprung von 19 Jahren kehrt Ralph, inzwischen Kardinal, nach Australien zurück und lernt den erwachsenen Dane kennen. Er baut eine väterliche Beziehung zu Dane auf, in dem Glauben, dass Luke dessen Vater sei. Dane entscheidet sich, auch beeinflusst durch seinen engen Kontakt zu Ralph und sehr zum Leidwesen seiner Mutter, ebenfalls für den Priesterstand. Während einer Reise nach Griechenland stirbt Dane und Meggie offenbart Ralph dessen Vaterschaft. Kurz darauf stirbt auch Ralph.   

“She was a child and therefore no danger to his priestly reputation” – Ralphs Zuneigung zu Meggie als Grooming

No one thought of her as important, which meant there was a space in her life into which he could fit himself and be sure of her love; she was a child, and therefore no danger to his way of life or his priestly reputation; she was beautiful, and he enjoyed beauty; and, least acknowledged of all, she filled an empty space in his life which his God could not, for she had warmth and a human solidity. Because he could not embarrass her family by giving her gifts, he gave her as much of his company as he could, and spent time and thought on redecorating her room at the presbytery; not so much to see her pleasure as to create a fitting setting for his jewel. No pinchbeck for Meggie. (McCollough 2008, 111)

In ihrem Essay Grooming in the Thornbirds arbeitet Grace Lapointe heraus, dass Ralphs Verhalten Meggie gegenüber als Grooming gelesen werden kann oder sogar muss. Sie plädiert dafür, die Beziehung der beiden konsequent nicht als Romanze zu lesen, sondern als Geschichte eines lebenslangen emotionalen Missbrauchs. Wie in der zitierten Passage deutlich wird, ist Meggie in erster Linie eine Projektionsfläche für die Intimitätsprobleme eines erwachsenen Mannes. Unumwunden wird hier formuliert, dass es eben nicht um die Emotionen des Kindes geht, sondern um die krankhafte Fixierung auf eine idealisierte und gleichzeitig objektifizierte Person. Im selben Kontext beschreibt McCollough:

She had moved him unbearably, and he didn’t really know why. There was […]her character, which he saw as the perfect female character, passive yet enormously strong. No rebel, Meggie; on the contrary. All her life she would obey, move within the boundaries of her female fate. (McCollough 2008, 111)

Hier wird explizit ein „perfekter weiblicher Charakter“ heraufbeschworen, der durch gleichzeitige Passivität und Stärke gekennzeichnet ist. Der erwachsene Mann projiziert diese „perfekte Weiblichkeit“ auf ein Kind. Es muss also unterstellt werden, dass Ralphs Absichten nicht auf eine väterliche Sorge um Meggie beschränkt sind, sondern er schon in dieser frühen Phase ihrer Beziehung ein erotisches Interesse an ihr hat. Dass er dieses nicht reflektiert und die entsprechenden Konsequenzen daraus zieht, hat für Meggie verheerende Folgen, da sie alle Erwartungen für ihr späteres Leben an eine einzige Person knüpft. In einem Interview kurz vor ihrem Tod gab Colleen McCollough an:

Meggie in The Thorn Birds is basically my mother. I detested her. Can you imagine writing a 280,000-word book and hating your heroine? She was everything I despise in a woman. She suffered and, worst of all, she enjoyed suffering.

Bereits zu Beginn der Handlung hat Meggie unter der internalisierten Misogynie ihrer Mutter zu leiden – in deren Welt zählen nur die Söhne – und keine emotional zugewandte Bezugsperson. Diese Leerstelle füllt Father Ralph aus, der als sanftmütiger und herzlicher Gegenpol in einer kalten und harten Umgebung gezeichnet wird. Dass diese Zuneigung der Beginn einer lebenslangen Leidensgeschichte ist, aus der sich Meggie nicht befreien möchte, sondern immer wieder die Nähe zu Ralph sucht, unterstreicht die Aussage der Autorin, ihre Romanheldin genieße es, zu leiden. Dass Opfer von emotionaler Gewalt oder Manipulation oft nicht anders können, als in der schädigenden Beziehung zu bleiben, reflektiert McCollough nicht.  

Als Teil einer unbewussten Frauenfeindlichkeit der Autorin muss auch die Charakterisierung von Mary Carson verstanden werden. Sie entspricht dem Klischee der Vetula, der alten, lüsternen und enthemmten Vettel, und will den gutaussehenden Priester für sich selbst in Besitz nehmen. Sie kritisiert dessen enge Bindung zu Meggie, zieht daraus aber die völlig falschen Schlüsse. Besonders deutlich wird das in einer Szene, die so nur in der Verfilmung vorkommt. Meggie berichtet hier ihrer Tante von ihrer Unterbringung im Wohntrakt einer Klosterschule, die sie seit kurzem besucht und lädt Mary ein, sie dort zu besuchen:

Meggie (zu Mary): Father Ralph gave me my very own room — right next to his!

Mary: I wouldn’t want to disturb all your little … arrangements.

Mary problematisiert das „Arrangement“. Allerdings nicht, weil hier ein Erwachsener offenbar Grenzüberschreitungen gegenüber einem Kind begeht, sondern weil sie eifersüchtig ist. Auf ein neunjähriges Kind. In der Romanvorlage macht sie aus ihrer Eifersucht keinen Hehl und ist die Einzige, die Ralph auch zu diesem Zeitpunkt schon ein sexuelles Interesse an Meggie unterstellt:

„Why don’t you like her?“ Father Ralph asked […] „Because you do,“ she answered. „Oh, come now!“ For once she made him feel at a loss. „She’s just a waif, Mary.“ „That’s not what you see in her, and you know it.“ […] „Do you think I tamper with children? I am, after all, a priest!“ „You’re a man first, Ralph de Bricassart! Being a priest makes you feel safe, that’s all.“ Startled, he laughed. Somehow he couldn’t fence with her today; it was as if she had found the chink in his armor, crept inside with her spider’s poison. […] „I am not a man,“ he said. „I am a priest …. It’s the heat, maybe, the dust and the flies …. But I am not a man, Mary. I’m a priest.“ (McCollough 2008, 143)

Vor dem Hintergrund all dessen, was in den vergangenen Jahrzehnten zu sexueller Gewalt in der katholischen Kirche öffentlich wurde, ist diese Passage besonders bestürzend, die hier bemühte Argumentation heute kaum mehr vorstellbar. McCollough legt ihrem Father Ralph offenbar ein konservativ-naives Verständnis des katholischen Priesters zugrunde, der erstens durch sein Weiheamt einen besonderen, eben sakrosankten, Status innehat und zweitens aufgrund des Zölibats als asexuell, unschuldig und ungefährlich gelesen werden muss. Zwar werden weder in der Romanvorlage noch im Film physische Handlungen sexueller Gewalt beschrieben, doch können entsprechende Fantasien durchaus unterstellt werden – zumal Mary diese Unterstellungen ja auch mehr oder weniger explizit äußert und Ralph sich dadurch ertappt fühlt.

Ralphs Grenzüberschreitungen sind aber auch unabhängig von seiner Zugehörigkeit zum Klerus problematisch. So betrifft eine weitere Schlüsselszene die Menarche der mittlerweile 15-jährigen Meggie. In dem Glauben, sie leide an einem tödlichen Tumor, der die Blutung verursacht, und aus Angst, ihrer Mutter davon zu erzählen, wendet sie sich an Ralph. Er erklärt der verängstigten Jugendlichen die körperlichen Veränderungen, die mit der Pubertät einhergehen. Er beschränkt sich jedoch nicht auf die Menstruation, sondern erklärt Meggie auch deren „Zweck“, der für ihn darin besteht, dass sie eines Tages sexuell aktiv sein und Kinder gebären wird. Er lässt dabei auch nicht die religiöse Verbrämung aus und erläutert, dass Eva im Paradies noch nicht menstruiert habe und die Periodenblutung Teil der Strafe für den Sündenfall sei.

Abschließend empfiehlt er dem Mädchen, lieber nicht mit Männern (und auch sonst mit niemandem als ihrer Mutter) über die Monatsblutung zu sprechen. Was auf den ersten Blick wie eine zugewandte, liebevolle Aufklärung wirkt, untermauert Lapointes Deutung von Ralphs Verhalten als Grooming: Der Priester isoliert das Mädchen von anderen Bezugspersonen und wirkt an den entscheidenden Punkten ihres Lebens unmittelbar auf sie ein. So formt er Meggie (bewusst oder unbewusst) nach seinen Vorstellungen, auch um letztlich sexuelle Handlungen mit ihr vorzubereiten. Diese Absicht wird im Roman deutlich, nachdem er zum ersten Mal mit der erwachsenen Meggie Sex hatte. Hier reflektiert er:

Truly she was made for him, for he had made her; for sixteen years he had shaped and molded her without knowing that he did, let alone why he did. And he forgot that he had ever given her away, that another man had shown her the end of what he had begun for himself, had always intended for himself, for she was his downfall, his rose; his creation. (McCollough 2008, 409)

Es ist ziemlich bestürzend, dass dieser Clusterfuck jemals als „Romanze“ gelabelt werden konnte. Cora Kaplan hat Ende der 1980er Jahre in ihrem Essay Fiction, Fantasy, Femininity vorgeschlagen, dass McCollough in den Dornenvögeln eine erotische Fantasie beschreibe, die letztlich um das Inzest-Tabu kreist und die damit verbundene Fantasie, den eigenen Vater zu verführen. Diese Lesart kann heute definitiv nicht mehr bestehen. Auch Meggies „symbolischer Inzest“ ist letztlich Ergebnis eines psychologischen und emotionalen Missbrauchs und darf in keiner Weise verharmlost werden.

Eigentlich ist also alles an den Dornenvögeln indiskutabel. Trotzdem scheint das Werk – auch heute noch – eine gewisse Faszination auszustrahlen und wird in zahlreichen aktuellen Rezensionen nach wie vor als „große Liebesgeschichte“ gefeiert. Doch worin genau liegt der Reiz einer Geschichte mit einer so verstörenden Ausgangssituation? Diese Frage habe ich versucht, für mich selbst zu beantworten, und bin in einen Kaninchenbau gefallen, der mich von homoerotischen Subtexten in heteroromantischen Geschichten über katholische Ästhetik zu Camp und queerer Subkultur zur „Hot Priest“-Trope geführt hat.

“Sancte Sebastian, ora pro nobis!“ – Der homoerotische Subtext

Während McColloughs Romanvorlage insgesamt als ziemlich konservativ bezeichnet werden darf, thematisiert sie doch an diversen Stellen recht explizit queere Themen und erschafft einen deutlichen homoerotischen Subtext. Da sind zum Beispiel Meggies viele Brüder, die allesamt niemals Interesse an Frauen zeigen und unverheiratet bei ihrer Mutter bleiben, oder Meggies Ehemann Luke: Seinen Kollegen Arne und ihn scheint mehr zu verbinden als nur eine Bromance. Meggie kommentiert wiederholt, dass Luke wohl lieber Arne hätte heiraten sollen. Und auch die Beziehung zwischen Ralph und seinem Mentor Vittorio wird als so innig geschildert, dass ein homoromantischer Subtext erkennbar wird.

In der Verfilmung werden diese uneindeutigen männlichen Beziehungen durch die Bildsprache noch besser transportiert. Eine gewisse Schwüle bestimmt das gesamte filmische Erleben: Muskulöse Männer reiten auf ebenso muskulösen, glänzenden Pferden durch das australische Outback, lümmeln anschließend verschwitzt im Gras, zeigen viel Haut und große Emotionen, schauen versonnen ins Leere, weinen oft. In überdurchschnittlich vielen Szenen sind (durchweg attraktive) Männer zu sehen, die einander zärtlich berühren und umarmen, interessiert betrachten, wenn sie mit entblößtem Oberkörper Schafe scheren oder nackt aus der Dusche kommen. Als etwa Luke O’Neill zum ersten Mal auftritt, suggeriert die Bildsprache, dass er sexuell an Meggies Bruder Bob interessiert ist. Noch expliziter wird es in den Szenen, die auf der Zuckerrohrplantage spielen, auf der Luke arbeitet. Hier sind alle Frauen unerwünscht, um die Kameraderie der Arbeiter nicht zu stören. Als Meggie dennoch auftaucht, um Luke mit der Trennung zu konfrontieren, ist er gerade dabei, zum Vergnügen mit seinem Freund Arne zu ringen. Die beiden Männer liegen keuchend und erleichtert lächelnd aufeinander, als Luke Meggie bemerkt. Die schaut wissend.

Auch wenn Ralph als einerseits asexuell, weil zölibatär, aber andererseits auch als eindeutig heterosexuell vorgestellt wird, zeigt ihn die Verfilmung doch in einigen Szenen mit homoerotischem bzw. -romantischem Subtext. Wann immer er zum Beispiel ins Gebet vertieft ist, erhebt er, kniend, seinen flehenden Blick zu einem Kruzifix mit einem besonders wohlgeformten Gekreuzigten, dessen Lendentuch nur gerade so die Genitalien verdeckt. In den Gemächern, die er als Kardinal bewohnt, hängt ein riesiges Gemälde mit religiösem Sujet, in dessen Zentrum ein muskulöser nackter Mann zu sehen ist. Ist es nur religiöse Entrückung, die hier dargestellt werden soll, oder schwingt da Begehren mit?

Wenn Ralph die Soutane gegen Reithose und halb aufgeknöpftes Hemd tauscht und mit den Farmarbeitern ins Outback reitet, stört er die Kameraderie und die schwüle Körperlichkeit der Männer jedenfalls nicht, sondern fügt sich ziemlich stimmig ein. Richard Chamberlain, der Ralph verkörpert, outete sich schon sechs Jahre nach Veröffentlichung der Miniserie als homosexuell und gilt seither als Veteran und Ikone schwuler Kultur in Hollywood. Nicht ausgeschlossen, dass der erkennbare Subtext hier beabsichtigt ist. Und etwaige codierte Botschaften beschränken sich nicht nur auf die Inszenierung seines Körpers: In allen Szenen, die Ralph mit Erzbischof (später Kardinal) Vittorio di Contini-Verchese zeigen, wird deutlich, dass die beiden Männer eine tiefe Zuneigung zueinander hegen.

Die Innigkeit und Zärtlichkeit wird beispielsweise darüber transportiert, dass Ralph dem älteren Vittorio beim Ablegen der liturgischen Gewänder hilft (im späteren Handlungsverlauf ist zu sehen, wie Dane ebenso zärtlich die Knöpfe an den Gewändern des älteren Ralph öffnet). Die körperliche Nähe der beiden wirkt aber weniger sexuell aufgeladen als bei den raufenden Zuckerrohrschneidern, sondern eher romantisch. So, wie Ralph Meggie als Kind immer mit „my Meggie“ adressiert und sie liebevoll im Gesicht berührt, spricht Vittorio auch stets von „my Ralph“ und streichelt seine Wange. Vermutlich soll mit dieser Parallelführung gezeigt werden, dass beide eine väterliche Position einnehmen. Da die Väterlichkeit Ralphs Meggie gegenüber ja aber in einem „symbolischen Inzest“ endet, darf die Frage gestellt werden, ob auch Vittorio seinen „Sohn“ eigentlich begehrt. Jedenfalls taucht das Motiv einer Reise nach Griechenland häufiger auf.

Auf einer dieser gemeinsamen Reisen eröffnet Vittorio Ralph, er habe dessen Keuschheit immer wieder getestet, indem er ihn mit schönen Frauen umgeben habe. Und Männern. Gleichgeschlechtliches Begehren ist dem Kirchenmann, der oft von der engen Beziehung zu seiner Mutter spricht, also durchaus nicht fremd. Im Übrigen wirkt der von Christopher Plummer gespielte Vittorio so dandy- bzw. daddyhaft, wenn er im Purpurmantel in seinen Vatikan-Gemächern sitzt und eine teure Katze krault, dass es eigentlich verwunderlich ist, dass daraus noch kein schwules Meme entstanden ist. Für mich steht jedenfalls fest: Wenn es in den Dornenvögeln eine Romanze gibt, dann ist es mit Sicherheit nicht die Beziehung von Meggie und Ralph, sondern die zwischen Ralph und Vittorio. Hätte es das Internet 1983 schon gegeben, wären sicherlich unzählige erotische Ralph/Vittorio-Slashfictions erschienen. Und auch die Luke/Arne-Fanfiction schreibt sich eigentlich von selbst.

“One doesn’t often get such good theater. It’s pretty male, though.” – Katholizismus, Queerness und Camp

Ein Teil der Handlung von Die Dornenvögel spielt im Vatikan. Und zwar im Vatikan der 1920er bis 60er Jahre, sprich einer religiösen Theaterkulisse, die zu dieser Zeit noch viel pompöser und exaltierter war, als sie es heute ist. Der exklusiven Männerwelt des australischen Outbacks steht also die exklusive Männerwelt des Kirchenstaats gegenüber. Und die ist, wie die katholische Kirche insgesamt, auf eine ganz andere Art extrem sinnlich: Opulente Kirchenräume und Gemächer voll barocker Kunst, durch die Männer in eleganten Roben gravitätisch schreiten, liturgische Gesänge und Orgelklang, der schwere Duft von Weihrauch und Kerzenwachs – alle Sinne werden maximal angeregt, der Körper in das religiöse Erleben gezielt einbezogen. Der Religionswissenschaftler Chris Stedman schreibt hierzu:

For people whose exposure to Christianity was a certain kind of Protestantism — bare bones, Kool-Aid for communion — you encounter the ‘smells and bells’ of a Catholic church and you might gravitate toward it. It’s over-the-top, it’s colorful, it’s excessive, it’s campy.

Diese Camp-Ästhetik des Katholischen bringt die Miniserie perfekt zum Ausdruck. Die Bildsprache des Films ist insgesamt überladen und an der Grenze zum Kitsch, aber besonders campy wird es in den Szenen, die im Vatikan spielen. Als die junge Schauspielerin Justine zum ersten Mal dort zu Gast ist, stellt sie fest, dass ein so gutes Theater selten geboten würde, wenn es auch sehr männlich sei. Die Frauen seien auf die oberen Ränge (also die billigen Plätze) verbannt und dürften nicht mitspielen. Und obwohl Vittorio ihr blumig zu vermitteln versucht, dass die oberen Ränge in seiner Welt schließlich das Paradies seien, in dem mit Maria die wichtigste Frau überhaupt über allem thront, kann Justine nicht anders als die flamboyanten Männer zu belächeln, die lieber unter sich bleiben.

In ihren Notes on Camp (1964) etablierte Susan Sontag Camp als queere Ästhetik. Bereits im frühen 20. Jahrhundert war der Stil assoziiert mit „effeminierten” Männern und wurde als Code für gleichgeschlechtliches (männliches) Begehren verwendet. Diese Zuschreibung würde in der Betrachtung der Miniserie auch die These untermauern, dass die beiden Kardinäle eigentlich Liebende sind. Die Romanhandlung mag um Meggie als zentrale Figur kreisen, in der Verfilmung kommt sie praktisch kaum vor und bleibt so farblos wie ihr berühmtes „Ashes of Roses“-Kleid. Dagegen so gut wie immer im Bild und dabei stets schillernd und wunderschön: Father Ralph de Bricassart.  

“You would look magnificent in red” – Der schöne, ungefährliche Mann

Bereits in der Romanvorlage geht es ausführlich um die außergewöhnliche Attraktivität des Priesters. Besonders aus der Perspektive der bereits weiter oben als „Vetula” vorgestellten Mary Carson wird der Blick auf den Priester als passives Lustobjekt deutlich:

She [was] enjoying his beauty, his attentiveness, his barbed and subtle mind; truly he would make a magnificent cardinal. In all her life she could not remember seeing a better-looking man, nor one who used his beauty in quite the same way. He had to be aware of how he looked: the height and the perfect proportions of his body, the fine aristocratic features, the way every physical element had been put together with a degree of care about the appearance of the finished product God lavished on few of His creations. From the loose black curls of his head and the startling blue of his eyes to the small, slender hands and feet, he was perfect. Yes, he had to be conscious of what he was. (McCollough 2008, 70)

Richard Chamberlain – 1983 bereits 49 Jahre alt – galt damals immer noch als Heartthrob, wenn auch vermutlich eher für diejenigen, die ihn bereits als 60er-Serienheld Doctor Kildare kannten. Eine Castingentscheidung, die auch verdeutlicht, wer von der Miniserie vornehmlich als Publikum angesprochen werden sollte: Ältere Frauen. Chamberlains Aussehen entspricht zwar überhaupt nicht der Beschreibung aus der Romanvorlage, ist aber dennoch untrennbar mit der Rolle verbunden, vielleicht auch weil er als schwuler Mann für das weibliche Begehren ebenso unerreichbar ist wie der imaginierte „perfekte Priester“.

Das Costume Design (von William Travilla) setzt Chamberlain perfekt in Szene. Egal ob in der taillierten Soutane oder als kerniger Naturbursche mit weißem bis zur Brust aufgeknöpftem Hemd: Im Mittelpunkt steht immer sein perfekter glänzend-muskulöser männlicher Körper. Auch als aus Father Ralph Cardinal de Bricassart wird, geht es seinen Verehrer*innen nicht um seinen Zugewinn an Macht und Status, sondern um sein Aussehen. Die als Gegenentwurf zu ihrer Mutter Meggie charakterisierte forsche Justine kommentiert den rasanten Aufstieg Ralphs in der Kirchenhierarchie nur mit „I’ll bet you’re smashing in red!“, verweisend darauf, dass eine Kardinalsrobe wohl ebenso seine Vorzüge hervorheben würde wie Soutane und Bischofsgewand zuvor. Anders als in filmischen Darstellungen, die dem Male Gaze entsprechen, ist hier nicht der Körper einer Frau das zentrale Spektakel und Gegenstand der Schaulust, sondern der eines Mannes. In einer zentralen Szene betrachtet Mary Carson Ralph unverhohlen, der sich auf der Veranda ihres Hauses vollständig seiner verschmutzten Kleidung entledigt:

„You’re the most beautiful man I’ve ever seen, Ralph de Bricassart,“ she said. „Why is it so many priests are beautiful? The Irishness? They’re rather a handsome people, the Irish. Or is it that beautiful men find the priesthood a refuge from the consequences of their looks? […] Straightening, she laid her palm on his chest and held it there. „You’re a sybarite, Ralph, you lie in the sun. Are you as brown all over?“ Smiling, he leaned his head forward, then laughed into her hair, his hands unbuttoning the cotton drawers; as they fell to the ground he kicked them away, standing like a Praxiteles statue while she toured all the way around him, taking her time and looking. The last two days had exhilarated him, so did the sudden awareness that she was perhaps more vulnerable than he had imagined; but he knew her, and he felt quite safe in asking, „Do you want me to make love to you, Mary?“ She eyed his flaccid penis, snorting with laughter. „I wouldn’t dream of putting you to so much trouble! Do you need women, Ralph?“ His head reared back scornfully. „No!“ „Men?“ „They’re worse than women. No, I don’t need them.“ „How about yourself?“ „Least of all.“ […] Naked, Father Ralph stepped off the veranda to stand on the barbered lawn with his arms raised above his head, eyes closed; he let the rain pour over him in warm, probing, spearing runnels, an exquisite sensation on bare skin. It was very dark. But he was still flaccid. (McCollough 2008, 107f)

Eigentlich geht es in dieser Szene um das Machtgefälle zwischen der reichen älteren Mary und dem jungen mittellosen Ralph. Die sexuelle Übergriffigkeit, die traditionell mit männlichem Machtmissbrauch gegenüber (jungen) Frauen in Abhängigkeitsverhältnissen assoziiert ist, wird hier umgekehrt. Trotzdem konstruiert McCollough eine eigenwillig erotische Szene. Der schöne Mann ist hier ausschließlich für die Schaulust Marys (und des Publikums) da, spielt ihr indiskretes Spiel bis zu einem gewissen Punkt mit, ist aber sexuell völlig ungefährlich. Er verspürt keine Erregung durch die beschriebene Sinnlichkeit und bleibt „schlaff“. Von ihm geht keine Bedrohung aus. Cora Kaplan argumentiert in ihrem Essay, dass Die Dornenvögel eine sexuelle Fantasie ist, die vom (heterosexuellen) weiblichen Standpunkt her erzählt wird. Anders als in massenproduzierten Liebesromanen ihrer Zeit schreibt McCollough nicht das androzentrische Narrativ von Verführung fort, bei dem der Blick auf die Frau und ihren Körper gelenkt wird, sondern gestattet einen im besten Sinne schamlosen – weiblichen heterosexuellen oder schwulen – Blick auf den begehrenswerten Mann. Die Gefühle und Empfindungen der Frauenfiguren werden gar nicht erst beschrieben, denn die verspüren die Lesenden (oder Schauenden) ja selbst.

Ralph de Bricassart ist in einer solchen erotischen Fantasie der ideale Mann, denn er ist schön und viril, aber ungefährlich, und in den späteren Sex-Szenen ein geschickter Liebhaber. Das ist angesichts seiner zuvor konsequent zölibatären Lebensweise zwar unplausibel, aber das sind erotische Fantasien ja meistens. Kaplan fasst die Rolle des Priesters wie folgt zusammen: „in der Figur Ralphs schafft die Autorin einen idealen mütterlichen Mann, einen femininen Mann, zu dem sexueller Zutritt natürlich tabu ist.“ 

„Why is it so many priests are beautiful?” – Die “Hot Priest“-Trope

Die Dornenvögel war nicht die erste und nicht die letzte fiktionale Geschichte, die den katholischen Priester fetischisiert. Der „Hot Priest“ taucht immer wieder auf und kann also durchaus als Trope bezeichnet werden. Was macht die Figur des katholischen Klerikers so attraktiv? Liegt es am Reiz des Verbotenen, der durch den Zölibat heraufbeschworen wird? An der Fantasie, als Individuum so besonders zu sein, dass es den Priester dazu bringt, sein Gelübde zu brechen? Oder ist es nur die Soutane, die mit ihrem engen Schnitt einen normschönen männlichen Körper so ganz anders betont als andere Kleidung, eingeschlossen etwa den Talar? Die Soutane ist zum Beispiel immer wieder prominent vertreten auf den schwarz-weiß-Fotografien des berühmt-berüchtigten Calendario Romano. Dieser, auch als Hot Priest Calendar bekannte, Wandkalender ist ein beliebtes Mitbringsel aus Rom. Er zeigt Schnappschüsse von eindeutig als Priestern zu erkennenden attraktiven (jungen) Männern. Laut Angaben des Fotografen und Herausgebers sind zwar nicht alle der Models tatsächlich welche, aber der Großteil bekleidet das Priesteramt. Würden sich ebenso viele Fans für einen Kalender finden, der dieselben Models zeigt, ohne dass sie als Priester gekennzeichnet sind? Vermutlich eher nicht.

Der namenlose Priester aus der zweiten Staffel der Amazon-Serie Fleabag trägt zu keinem Zeitpunkt eine Soutane. Das wäre 2019 in Großbritannien auch wenig plausibel gewesen. Und trotzdem zieht auch hier das Narrativ vom unerreichbaren attraktiven Mann, der schließlich der verführerischen Sexualität nachgibt. Obwohl Fleabag anders als Meggie überhaupt nicht religiös oder gläubig ist, hat auch sie das Tabu rund um erotische Liebesbeziehungen mit Priestern verinnerlicht.

In der bereits zitierten Veranda-Szene sagt Mary:  

“I’ll bet the girls in Gilly just eat their hearts out over you.“ „I learned long ago not to take any notice of love-sick girls.“ He laughed. „Any priest under fifty is a target for some of them, and a priest under thirty-five is usually a target for all of them. But it’s only the Protestant girls who openly try to seduce me.“ „You never answer my questions outright, do you?” (McCollough 2008, 107)

Und sie stellt die Hypothese auf, dass es nicht das Priesteramt ist, das den Mann attraktiv macht, sondern sich attraktive Männer in den Zölibat flüchten, um den Konsequenzen einer gelebten Sexualität zu entgehen:

“And yet there was an aloofness about him, a way he had of making her feel he had never been enslaved by his beauty, nor ever would be. He would use it to get what he wanted without compunction if it would help, but not as though he was enamored of it; rather as if he deemed people beneath contempt for being influenced by it. And she would have given much to know what in his past life had made him so. Curious, how many priests were handsome as Adonis, had the sexual magnetism of Don Juan. Did they espouse celibacy as a refuge from the consequences?” (McCollough 2008, 70)

Guilty Pleasure – Aber anders

Auch 40 Jahre nach ihrer Erstausstrahlung sind die Dornenvögel immer noch ein Ereignis. Wer auf Pathos, 80er-Jahre-Bildgewalt und allgemeine Flamboyanz steht, bekommt hier einiges geboten. So etwas schön und ansprechend zu finden, ist meiner Meinung nach absolut nicht verwerflich. Dass „Herzschmerz-Schnulzen“ als guilty pleasure bezeichnet werden, weil sie eben einen gewissen (weiblichen) Geschmack bedienen, finde ich überheblich und nicht mehr zeitgemäß. Schuldig sind für mich viel mehr diejenigen, die eine Missbrauchs-Geschichte als Unterhaltung und Liebesgeschichte inszeniert haben. In einer Zeit, in der die Institution Kirche unverzeihbare Schuld auf sich geladen hat, indem sie sexuelle Gewalt zugelassen und vertuscht hat. Wer diese historische Folie ausblenden kann und die opulente Ästhetik genießen möchte, kann sich aber an folgende Gebrauchsanweisung halten: Einfach den ersten Teil überspringen, in dem der, hart an der Pädokriminalität vorbeischrammende Handlungsstrang rund um die junge Meggie abgearbeitet wird (Einzige Ausnahme ist diese Veranda-Beefcake-Szene). Dann lässt sich auch ganz gut ausblenden, dass Ralph de Bricassart zwar sehr schön, aber eben ein fieser Kinder manipulierender Karrierist ist, der vor allem sich selbst liebt, und dass die Geschichte nicht an allen Stellen Sinn ergibt.   

(Die 1996 nachgelieferten Missing Years habe ich mir übrigens auch angeschaut. Aber das ist wirklich unzumutbarer 1990er-Jahre-TV-Kitsch und 0% Camp.) 

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