Cool for you? – Die „coole“ Lesbe in der Literatur [Queering Literaturbetrieb]

Queering Literaturbetrieb
In den letzten Jahren ist ein Trend queerer Literatur auszumachen, in Übersetzung feiern Autor*innen wie Ocean Vuong, Maggie Nelson oder Edouard Louis große Erfolge. Dennoch haben queere Autor*innen in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, aber auch im Literaturbetrieb, immer noch zu wenig Präsenz und Mitspracherecht. Diskriminierung, Sexismus, LGBTIQ+-Feindlichkeiten und Ignoranz gehören leider weiterhin zum Alltag. Die neue Kolumne Queering Literaturbetrieb widmet sich in kurzen Essays den Dissonanzen zwischen Literaturproduktion und Verlagswesen. Sie fragt nach dringlichen Themen und Diskursen innerhalb der Gruppe der queeren Schreibenden. Eva Tepest, Katja Anton Cronauer, Kevin Junk und Alexander Graeff haben sich als Autor*innen zusammengeschlossen, um mit dieser neuen Kolumne den aktuellen Wasserstand der queeren, deutschsprachigen Literatur auszuloten. Sie wollen mit ihren Essays individuelle Erfahrungen aus den verschiedenen Berufs- und Lebensrealitäten zusammentragen und zugleich ein größeres Bild von aktuellen Chancen, Ambivalenzen und Missständen aufzeigen.

 

eine Kolumne von Eva Tepest

 

Ich fragte vor ein paar Wochen in eine queere Runde, ob Lesben jemals cool waren. Der Anlass für diese Frage war der Text Scaling Hotness to life von Maxi Wallenhorst, die mir gegenüber auf dem Balkon saß.  In dem Text hatte sie eloquent dargelegt, dass die aktuelle Hotness einer bestimmten Art von trans Literatur, komplexe trans Realitäten reduziert, auf eine Kurzformel für “countless other things that are vaguely boundary-crossing, vaguely intense”.

Vielleicht in den frühen 90ern, beantwortete ich meine eigene Frage, vielleicht waren die punkigen Motorrad-Lesben in Großbritannien, vielleicht die US-amerikanischen Butches und Dykes to watch out for kulturelle Ikonen ihrer Zeit. Doch trotz dieser Beispiele, blieb eine Frage: Warum gibt es im deutschsprachigen Literatur-Mainstream, im Kulturbetrieb, really, keine coolen Lesben?

Ich erinnere mich an die lesbische Literatur der 00er- und 10er-Jahre: Mirjam Müntefering, Flug ins Apricot; Mein lesbisches Auge 7: Das lesbische Jahrbuch der Erotik. Zusammen mit The L Word, einer Raubkopie des Pornos One Night Stand und Hella von Sinnen war das so ziemlich alles, dessen ich an lesbischer Popkultur habhaft werden konnte.

Dabei las ich schon seit meinen Tweens alles, was mir an queerer Literatur in die Hände fiel: Maurice von Edward M. Forster, Klaus Manns Mephisto, Anne Carson, Die Autobiographie von Rot. Ich las also von spätviktorianischen Middle-Class-Engländern, von homosexuellen Karrieristen im Dritten Reich, von in Herkules verliebten, geflügelten Jünglingen, aber nicht von coolen Lesben. Warum ist das so, warum schien es an dieser Stelle eine Lücke zu geben?

Ich möchte zu meiner Verteidigung meine Perspektive auf “Coolness” skizzieren. Dazu muss ich über Eileen Myles schreiben. Der/die Autor*in, Lyriker*in, Aktivist*in ist für mich die Quintessenz des coolen Kids: Auf dem Cover des Buchs Cool for you fläzt Myles breitbeinig auf einem Stuhl, Zigarette in der Hand, Blick frontal in die Kamera. “Wahrscheinlich basieren 75% meiner Performance von Männlichkeit auf dem Bild von Eileen Myles auf dem Cover dieses Buches”, schreibt ein User auf der Review-Plattform goodreads. In den letzten fünf Jahrzehnten hat Myles über zwanzig Bücher veröffentlicht, darunter ein Buch über ihren/seinen verstorbenen Hund und die besten Beschreibungen von lesbischem Sex, die ich kenne (z. B. in Chelsea Girls und Inferno).  Im Interview flirten alle Moderatorinnen mit Myles. Erklärtermaßen lesbisch und nicht-binär, ist Myles Sexiness unabhängig vom männlichen Blick. Cool ist, vor allem, hot.

Myles’ Blick legt die Logistik unserer Gegenwart offen. Ein Fünftel von Myles’ Instagramfeed ist food content: Meist Becher mit schwarzem Kaffee oder Eier (gekocht, sunny side up, mit und ohne Toast). Dazu Doughnuts und schwarzer Tee mit Milch, manchmal Äpfel. Myles legt die materiellen Voraussetzungen des Schreibens offen, den Lebensunterhalt, die Textur der Routinen. Es ist cool, eine überzeugende Vision des Alltags für diejenigen zu bieten, für die es angesichts von Rassimus und Sexismus, von Ausbeutung und Klimakatastrophe, keine Normalität gab, zu der man zurückkehren könnte.

Aufgewachsen in einem working-class Haushalt bei Harvard fehlten Myles nicht nur das Geld, sondern auch Wissen und Habitus, um zu checken, wie der Kulturbetrieb läuft. In der New Yorker Lyrikszene der 70er Jahre war jeder männlich und mindestens middle-, wenn nicht gar upper-class. Über fünf Jahrzehnte schickte Myles Gedichte an den New Yorker, ohne Erfolg. Im Wahlkampf um die amerikanische Präsidentschaft 1992 erklärte Myles gegen George Bush (Sen.) antreten zu wollen und begründete diesen Schritt damit, weit mehr Menschen zu repräsentieren als der amtierende US-Präsident. Im Rahmen der radikal linken und poetischen Präsidentschaftskampagne “Write in Myles for President” erklärte Myles noch nie mehr als 25.000 Dollar im Jahr verdient zu haben und noch nie krankenversichert gewesen zu sein. Im Anschreiben der dazugehörigen Briefwahlkampagne steht Myles’ Gedicht Wallpaper Bankrupty Sale, gefolgt von der Entschuldigung, dass das Ganze “zugegebenermaßen ziemlich melancholisch ist”. Coolness ist ernsthaft ironisch. Coolness ist, die eigenen politics bierernst zu meinen und sie spielerisch zu schultern. Diese ganze Kolumne könnte eine Ausrede sein, um von Eileen Myles zu schwärmen.

Ich muss gestehen: Ich selbst finde “Lesben” uncool. Das fängt schon bei dem Wort “lesbisch” an. In Gesprächen verwende ich häufiger “queer”, “Dyke” oder “gay”. Zum Teil liegt das daran, dass ein Teil der radikalen FrauenLesben-Bewegung hierzulande ebenso wie der radical feminists in den USA bis heute durch seine Trans- und Queerfeindlichkeit besticht.

Doch es gibt, zumindest in mir, auch lesbenfeindliche Vorurteile. Den Teil, der beim Wort “lesbisch” an Wanderschuhe (nicht diese schwarzen, unlängst coolen, sondern solche) und den Begriff lesbian bed death denkt, den Mythos, dass lesbische Paare weniger Sex als andere hätten; oder mein 17-jähriges Ich, die sich die Haare ganz kurz schnitt und sich auf Drängen ihres Umfeldes mit hohen Schuhen, großen Ohrringen und roten Lippenstiften eindeckte, um weiblich genug zu wirken. Die phobische Zangenbewegung sitzt tief: Denn Lesben sind gesellschaftlichen Vorurteilen zufolge zu männlich (und damit eine Gefahr für die Geschlechterbinarität) oder, da zwei (oder mehr) Frauen auf einmal, zu weiblich (und haben damit keinen Spaß, keinen Humor und ganz bestimmt keinen aufregenden Sex). Das alles behauptet auch: Lesben sind uncool. Ich werde im weiteren Verlauf dieser Kolumne üben, “lesbisch” zu schreiben.

Ich brauche selbstbewusste lesbische Vorbilder. Warum finde ich my lesbian cool in erster Linie in englischsprachigen Kontexten?

Ich behaupte, dass es schwer ist, coole lesbische Literatur zu schreiben. Ein queerer Verleger erzählte mir neulich, dass lesbische Autor*innen sich häufiger “doch nicht trauten”, ein bereits bestelltes Buch abzuliefern. Well.

Es ist mühsam, sich eine Leichtigkeit zu erschreiben, wenn du mehrfach diskriminiert bist, als queere Frau, als Lesbe of colour, als trans Dyke, als nicht-binäre lesbische Femme. Ein selbstbestimmter Umgang mit Sexualität ist heikel, wenn lesbische Sexualität häufig eine Vorlage für männliche Fantasien ist: Es gibt, mit Maggie Nelson gesprochen, keine Blaupause für emanzipierte Sexualität, und alle kleinen Mädchen bekommen vorgelebt, dass Sex unkonsensuelle Unterwerfung ist. Wie sollen wir diesem Kontext leichtfüßiges loving licking lying, eine lesbische Lebensrealität  schreibend abringen?

Ich klage dennoch an: Ich kann nicht akzeptieren, dass es so wenige lesbische Titel im deutschsprachigen Verlagsprogramm gibt – von Nischenverlagen einmal abgesehen.

Ein paar Belege: Unter den 200 Titeln auf den Longlists des Deutschen Buchpreises aus den vergangenen zehn Jahren finden sich lediglich vier Titel mit lesbischen Referenzen (wenn auch nicht gerade Hauptfiguren), Sasha Marianna Salzmanns Außer sich, Antje Ravic Strubels Sturz der Tage in die Nacht, Olga Grjasnovwa, Der Russe ist einer, der Birken liebt und in diesem Jahr Olivia Wenzels 1000 Serpentinen Angst. In den aktuellen Herbstprogrammen der großen deutschen Verlage Suhrkamp, Ullstein, S. Fischer, Aufbau, Hanser, Matthes & Seitz und Rowohlt findet sich als einziges Prosawerk mit lesbischen Bezügen Ronya Othmanns Die Sommer. [1]

Und das gilt nicht nur für deutschsprachige Literatur, auch mit Übersetzungen sieht es hierzulande kaum besser aus. Und das gilt leider oft auch für die Qualität der Übertragung. Erst vor Kurzem wurde das erste Werk von Eileen Myles ins Deutsche übertragen. In der Übersetzung von Dieter Fuchs steht für “Dyke” der Begriff “Kampflesbe”. Und während Sally Rooneys Normcore-Romane Normale Menschen und Gespräche unter Freunden in Windeseile übersetzt wurden, steht eine deutsche Fassung von Bernardine Evaristos fantastischem Girl, Woman, Other noch aus, ebenso wie von Women (Chloe Caldwell) und vielen anderen.

Es gibt sie, die coolen, erfolgreichen lesbische Autor*innen, die auf deutsch schreiben, es gibt Ronya Othmann und Helene Hegemann, aber es müssten doch so viel mehr sein, die es in den literarischen Mainstream schaffen. Ich brauche mehr. “Als ich in den 70er Jahren nach New York kam, wusste ich nicht, dass ich lesbisch bin…. Ich war homophob oder ängstlich – ich wollte einfach keine Lesbe sein”, schreibt Eileen Myles im Essay The Lesbian Poet. “Es gab auch keine Frau in diesem Kreis von Dichtern, die mich empfangen und mir mitteilen konnte, dass ich gehört wurde. Ich fertigte das Modell von dem an, was ich dort sein musste. Ich habe lesbische Inhalte in die Lyrik der New York School aufgenommen, weil ich wollte, dass das Gedicht da ist, um mich zu empfangen.” Lasst uns unser eigenes Modell sein.

 

[1] Dazu erscheinen bei Hanser unter dem Titel Susan Sontag Wie wir jetzt leben auch Susan Sontags Kurzgeschichten, aber die sind frei von expliziten lesbischen Bezügen, was angesichts von Sontags Haltung, dass homosexuelle Beziehungen “nicht valide” sind, nicht verwundert.

 

Photo by Phước Lộc on Unsplash

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