Books & Babies!

von Elisabeth R. Hager

 

Am Ende von neun schwangeren Monaten verlangte alles in meinem Leben danach, neu organisiert zu werden: die Paarbeziehung, die Wohnsituation, das Werwannwie der Sorgearbeit. Auch das Schreiben, das mich bis zum Tag der Geburt unserer ersten Tochter selbstverständlich in jeder Lebenslage begleitet hatte, war nicht mehr einfach so möglich. Und in meinem Umfeld häuften sich die Stimmen, die mir zu verstehen gaben, dass es damit nun wohl für ein Weilchen vorbei sei. Books or Babies schien die Devise zu lauten. Eine nahe Verwandte attestierte mir, dass ich nun wohl literarisch „leiser treten müsse“. Und eine Berliner Buchhändlerin, in deren Geschäft ich im Jahr zuvor eine Lesung abgehalten hatte, fragte mich beim Wiedersehen neugierig, woran ich aktuell arbeite, ehe ihr Blick den Kinderwagen streifte, den ich vor ihrer Auslage geparkt hatte. „Ach so. Verstehe“, sagte sie schnell und schenkte mir ein abschätziges Lächeln. Bücher oder Babies… Als wäre es nicht möglich, eine geistige Tätigkeit und das Aufziehen von Kindern in ein gemeinsames Leben zu packen.

„Babies eat manuscripts. They really do. The poem not written because the baby cried, the novel put aside because of a pregnancy, and so on. Babies eat books“ schrieb Ursula K. Le Guin in ihrem Essay „The Fisherwomans Daughter“ von 1988. Doch anders als viele ihrer feministischen Zeitgenossinnen nahm Le Guin, selbst Mutter zweier Kinder und Tochter einer Schriftstellerin, ihnen das nicht einmal übel. Denn: „they spit out wads of them that can be taped back together; and they are only babies for a couple of years, while writers live for decades“ Die Idee, sich zwischen Produktion und Reproduktion entscheiden zu müssen, hielt sich trotzdem sehr lange. Mancherorts bis heute.

Nachdem sich der aufgewirbelte Staub der euphorischen wie ermüdenden ersten Babywochen gelegt hatte, meldete sich meine innere Autorin. Sie wolle schreiben, teilte sie mir mit. Und zwar sofort. Nicht über die Bedürfniserkennung bei Säuglingen oder Hygienemaßnahmen im Windelbereich, sondern über bedingungslose Liebe, Schuld, Selbstmord und die Verwandlung von Dämonen in Schmetterlinge. Dafür müsse ich Zeit und Raum schaffen, wenn mir der innere Hausfrieden lieb sei. Schon klar, antwortete ich, aber wie soll ich das anstellen? Mein drei Monate altes Baby wollte gestillt, umsorgt, gepflegt werden, ich arbeitete einen Tag pro Woche im Radio und schleppte mich zu Rückbildungskurs und Babymassage. Die übrige Zeit verschlief ich oder wechselte matt ein paar Sätze mit dem genauso abgekämpften Partner. Je länger ich meine innere Autorin aber auf Standby gedrückt hielt, desto lauter wurde sie. Eine Unzufriedenheit packte mich, wie ich sie nie zuvor gespürt hatte. Der Stumpfsinn der Fürsorge machte mich wahnsinnig. Mir war, als würde das Baby mit jedem Tropfen Milch auch ein paar Hirnzellen aus meinem Schädel zuzeln.

Eines Nachmittags, nachdem ich das Kind zum Schlafen hingelegt hatte, klappte ich dann doch den Laptop auf und legte los. Statt wie früher zunächst alle möglichen Einwände gegen mich und mein Schreiben durchzudeklinieren, schoss es einfach so aus mir heraus. In der Stunde, die mich das Kind an dem Tag arbeiten ließ, schaffte ich mehr als sonst an einem halben Tag. Es gibt unzählige Arten, die eigenen inneren Quellen anzuzapfen. Man muss dafür keine Kinder bekommen. Absolut nicht. Mir persönlich hat die Verknappung der eigenen Zeit aber den Sinn für das Wesentliche geschärft. Und nach Jahren der Prokrastinierungsorgien war er plötzlich sogar der sagenumwobene Kaltstart in den Text möglich. Für Selbstzweifel fehlte schlicht die Zeit. War das die Schaffenslust, der Audre Lorde den esoterisch anmutenden Namen „the power of the erotic“ verpasst hatte? Ich weiß es nicht. Doch ich weiß, dass das Muttersein sich seltsamerweise als Bereicherung für meine Arbeit erwies. Im Laufe eines Jahres schrieb ich in den Pausen, die der Schlafrhythmus meiner Tochter mir gewährte, die Rohfassung meines zweiten Romans. Es klingt nicht sehr heroisch, wenn man im Interview erzählt, ein Buch während der Nickerchen des Nachwuchses geschrieben zu haben. Aber muss Schreiben überhaupt heroisch sein? Können wir das Bild des einsamen, meist männlichen Genies, das, befreit von der Weltlichkeit der Sorgearbeit, permanent geilen Content generiert, nicht endlich in die Tonne klopfen? Ist nicht gerade das bemerkenswert, zu schreiben, wenn es zeitlich kaum machbar ist und ständig jemand an einem zerrt?

„Ich habe mein Leben als Alleinerziehende bewusst in den Kontexten des literarischen Feldes verschwiegen“, erzählte mir Autorenkollegin Marlen Schachinger 2018 auf einem Spaziergang durch Pristina, als wir dort beide für Buchprojekte recherchierten, mit Blick auf die frühen Nullerjahre, als ihre Kinder klein waren und sie am Anfang ihrer Karriere stand. Als Autorin öffentlich über die eigenen Kinder zu sprechen, hätte sich im sexistischen Klima des damaligen Literaturbetriebs negativ auf die Karriere ausgewirkt. Wer sich dennoch erdreistete, diesen Aspekt des (eigenen) Lebens zu erwähnen, landete häufig in der „Frauenecke“, jenem staubigen, nach Babykotze und benützter Windel riechenden Winkel der literarischen Welt, den Juror*innen und Literaturkritiker*innen bis vor kurzem bekanntlich eher mieden.

Zum Glück hat sich der Wind mittlerweile gedreht. Weltbestseller wie Mutterschaft von Sheila Heti oder Maggie Nelsons Die Argonauten schubsten das Thema Richtung literarischer Mainstream. Auch die Romane von Gertraud Klemm oder Jesolo von Tanja Raich wurden von der Kritik gefeiert. Und 2019 erhielt Anke Stelling für Schäfchen im Trockenen, die wütende Suada einer Mutter, gar den Preis der Leipziger Buchmesse. Stelling erzählt immer wieder in Interviews vom Kraftakt, ihre Mutterschaft und das Autorinnendasein zu koordinieren. „Manchmal verwechsele ich meine Bücher und meine Kinder“ wird sie in einem Radio-Feature zum Thema Schreiben und Mutterschaft zitiert.

Bücher und Kinder verwechseln? Das dürfte mir nicht passieren. Doch auch ich spüre deutlich die Doppelbelastung von Schreiben und Sorgearbeit. Und manchmal sitze ich selbst dem Klischee auf. Dann schäme ich mich dafür, dem Bild der Autorin, die sich einzig und allein ihrer Literatur verschrieben hat, nicht zu entsprechen. Gleichzeitig nagt ein Schuldgefühl an mir, wenn ich meiner großen Tochter das Tablet in die Hand drücke, um noch eine halbe Stunde zum Schreiben zu ergaunern. Vor allem ärgert mich die strukturelle Beschaffenheit des Literaturbetriebs, die willkürlich gezogene Altersgrenze von 35, die Kinder- und andere Betreuungszeiten unberücksichtigt lässt. Und eine literarische Förderlandschaft, die meist junge, flexible, in keiner Weise beeinträchtigte, muttersprachliche Autor*innen der Mittelklasse anvisiert und dabei unter anderem Menschen, die Care-Arbeit leisten oder in Anspruch nehmen, fröhlich außen vor lässt. Viele Autor*innen, die Wichtiges zu sagen hätten, können nicht monatelang in entlegenen Provinzmetropolen  die literarischen Schmuckeremiten mimen. Was entgeht uns dadurch? Wie viele großartige Bücher? Welche heftigen, kühnen Gedanken? Literatur ist doch auch ein Möglichkeitsraum, der uns in Berührung bringt mit dem, was wir noch nicht verstehen, was uns noch fremd ist. Auch und vor allem in uns selbst. Wer neue literarische Perspektiven auf die Welt lesen will, wird wir nicht umhin kommen, denen das Mikro hinzustellen, die bislang kaum gehört werden. Ein Stipendium für Menschen, die Care-Arbeit in Anspruch nehmen oder leisten, wäre ein erster kleiner Schritt in die richtige Richtung. Meine Devise lautet jedenfalls Books and Babies. Derzeit arbeite ich am dritten Roman. Und vor kurzem kam unsere zweite Tochter zur Welt. Es bleibt also spannend.

 

Photo by Jordan Whitt

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