Schlagwort: Betrieb

Zynischer Nonkonformismus

von Johannes Franzen

Politische Kommunikation ist oft ein Zirkus mit schrecklichen Spätfolgen. Der Podcast „The Flamethrowers“, der die Geschichte des rechten talk radios in den USA erzählt, macht immer wieder deutlich, dass die schwierigen Helden dieser ‚Kunstform‘ als Entertainer auf der Suche nach einer erfolgreichen Nische angefangen haben. Der Meister des rechten Radios, Rush Limbaugh, der zum Zeitpunkt seines Todes im letzten Jahr ein Vermögen von über 500 Millionen Dollar besaß, begann als erfolgloser Moderator. Dann entdeckte er das schier unerschöpfliche Bedürfnis nach einer Stimme, die den angeblich linksliberalen Zeitgeist herausforderte. Sein wütendes Geschrei gegen Feminismus, Anti-Rassismus oder LGBTQ-Aktivismus fand ein riesiges Publikum und wirkte stilbildend für ein rechtes Unterhaltungsformat, das seine Energie aus dem höhnischen Zorn über progressive Anliegen zog.

‚Owning the Libs‘ – Linksliberale provozieren – wurde zu einer der wichtigsten Strategien einer intellektuell entkernten Rechten, die es sich seit den 1970er Jahren zusehends auf dem muffigen Theaterboden der ‚Culture Wars` gemütlich gemacht hatte. Die erfolgreichen Karrieren Limbaughs und anderer Moderatoren, von denen „The Flamethrowers“ erzählt, verweisen aber auch auf die Geschichte eines Geschäftsmodells, das in der gegenwärtigen Aufmerksamkeitsökonomie den Gipfel seiner Lukrativität erreicht hat – das Geschäftsmodell des mutigen Nonkonformisten, der den uniformierten Zeitgeist herausfordert. Es handelt sich um ein Rollenmuster, dessen Attraktivität sich durch alle Register des kulturellen Anspruchs zieht, und auch solche Figuren der jüngeren Kulturgeschichte betrifft, die von einem Limbaugh auf den ersten Blick denkbar weit entfernt erscheinen.

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Adorno im Badeanzug – Freizeit als Arbeitsmythos der Kreativität

von Felix Lindner

 

Seit September letzten Jahres bewundere ich Adorno im Badeanzug. Schuld ist die Instagram-Seite „Writers Doing Normal Shit“, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Bilder von Schriftsteller*innen in vermeintlichen Alltagssituationen zu sammeln. Dort läuft Beckett in Shorts herum, macht Susan Sontag ein Nickerchen, isst Bob Ross eine Pizza, Derrida Kartoffelchips und Žižek gleich zwei Hot Dogs auf einmal. Das Prinzip: Alle machen alles, nur nicht schreiben. Wie erfolgreich das ist, beweisen die mittlerweile entstandenen Nachahmer und Ableger – von „Artists Doing Normal Shit“ über „Composers Doing Normal Shit“ bis hin zu „Rappers Doing Normal Shit“. Das ist auf den ersten Blick erbaulich, weil es Künstler*innen einmal abseits der üblichen Bilderwartungen zeigt: Nicht als ewig Geplagte, die fortwährend Kunst absondern müssen, sondern als Urlauber*innen, die die Kritische Theorie mal auf den Nachmittag verlegt haben. Weiterlesen

Leben als Kunst und Kunst als Geschäft –  Andy Warhol wird erzählt

von Christina Dongowski

 

Als Anfang März die Museen in vielen Teilen Deutschlands für Besucher:innen wieder geöffnet wurden, brach das Ticketing-System des Museum Ludwig in Köln in kurzer Zeit zusammen. Die Server konnten den Ansturm von Menschen, die sich einen Zeit-Slot für die große Warhol-Ausstellung sichern wollten, nicht bewältigen. Man arbeite fieberhaft daran, das System wieder online zu bekommen. Mit so viel Interesse habe man einfach nicht gerechnet, verkündete das Museum etwas zerknirscht – den Glitch in der musealen Vermarktungsmaschine souverän für die Vermarktung der Ausstellung nutzend. Dass sich nach monatelangem erzwungenem Starren auf Bildschirme der Hunger nach „echten“ Bildern ausgerechnet in einer Warhol-Ausstellung austoben will (und kann), passt perfekt zu Warhols künstlerischer Auseinandersetzung mit der Ideologie und Metaphysik des Kunstwerks – es erscheint fast schon ein bisschen zu sehr „on the nose“. Weiterlesen

Fetisch Kreativarbeit – Künstlerbiographien als Lebensratgeber

von Felix Lindner

 

Und wieder eine falsche Kuh. Also setzen sich die beiden Frauen, Gertrude Stein und Alice Toklas, noch einmal in den Ford und fahren weiter, bis zur nächsten Kuh. Steins Aufgabe ist es, zu schreiben, und sie schreibt am liebsten draußen, auf einem Campingstuhl, und zwischendurch, da braucht sie diese Aussicht. Und auch Alice Toklas hat eine Aufgabe: die Kuh zu finden, die zur Stimmung ihrer Freundin passt und sie in ihr Blickfeld bringen. Es ist oft die falsche. Ist eine gute Kuh gefunden, schreibt Stein manchmal, aber meistens, heißt es, meistens schaut sie einfach nur auf Kühe. Weiterlesen

Ein sehr fälschbarer Künstler – der Fall Modigliani

von Christina Dongowski

 

London, August 1919: Der Weltkrieg geht noch zu Ende. In der Mansard Gallery, tatsächlich ein Mansarden-Geschoß im Kaufhaus Heale, findet aber bereits wieder eine Ausstellung aktueller französischer Kunst statt. Organisiert und finanziert von den Brüdern Osbert und Sacheverell Sitwell, Weltkriegsveteranen, die mit der Ausstellung ihre Karriere als Kunst- und Literaturkritiker, Schriftsteller und exzentrische Figuren des englischen Kulturbetriebs beginnen. Ausgestellt werden fast alle französischen, oder besser Pariser Künstler*innen, die heute zum Kanon der Modernen Kunst und der Avantgarde(n) gehören. In den Londoner Zeitungen und Zeitschriften wird ausführlich über die Ausstellung berichtet. Weiterlesen