Finden Sie Mabel

Ich schäme mich nicht, oder nur ein bisschen, es öffentlich zuzugeben: hin und wieder habe ich eine Schwäche für Heinz Rudolf Kunze – die alten Sachen natürlich. Zurückzuführen ist das auf eine pränatale Konditionierung, denn kurz vor der Niederkunft im April 1987 hörte meine Mutter das Album Wunderkinder rauf und runter. Zehn Jahre später entdeckte der Filius dieses Album für sich, ganz besonders Finden Sie Mabel. In diesem Lied fleht der Auftraggeber einen gewissen Philip Marlowe an, dass dieser ihm seine getürmte Freundin finde und zurückbringe.

Ihnen wäre sowas sicher nie passiert,
keine Frau hat je in Marlows Drink gerührt,
leih mir deinen Mantel Marlow nur für eine Nacht.

Auf Nachfrage wurde ich informiert, dass es sich bei Philip Marlowe um einen Privatdetektiv der amerikansichen Krimiliteratur handelt, cool und unnahbar. Nun endlich, 26 Jahre nach der ersten Begegnung mit ihm, mache ich mich auf die Suche dessen Person zu ergründen.

163446Der große Schlaf, der erste Roman in dem Marlowe auftaucht, ist inzwischen ein Klassiker der Krimiliteratur. Das Erscheinen der illustrierten Ausgabe bei der Büchergilde eine Gelegenheit für mich auch mal wieder einen Krimi zu lesen.

Ein alter Mann bittet Marlowe den Schulden einer seiner beiden Töchter nachzuspüren. Die beiden Gören sind dem mit Öl reich gewordenen General schwer missraten und verbringen ihre Zeit damit ihr Taschengeld in Casinos zu tragen, sich zu verschulden oder halbseidene Typen zu heiraten. Seine Recherchen führen den Privatdetektiv zu einem Antiquariat, das im Hinterstübchen eine Leihbibliothek für verbotene pornografische Literatur betreibt. Als kurze Zeit später der Inhaber selbiger ermordet wird, dummerweise eine der Töchter des Generals im Drogenrausch zumindest anwesend ist, ihr Chauffeur mit dem Auto vom Pier stürzt und bei Marlowes Rückkehr die Leiche des Buchhändlers verschwunden ist, beginnt sich die Lage zuzuspitzen.

Philip Marlowe ist ein hardboiled detective, der Prototyp des Privatdetektivs, der Recht und Gesetz unkonventionell auslegt, gerne bei der Observation im Auto eine halbe Flasche Whiskey trinkt und natürlich Einzelgänger ist. Nach seiner unehrenhaften Entlassung aus dem Polizeidienst wegen Befehlsverweigerung steht er mit der Polente nicht mehr so gut, hat aber noch alte Kontakte, auf die er sich verlassen kann. Auch wenn er ständig von den beiden Töchtern seines Auftraggebers umgarnt wird, ist er gegen Avancen immun, zumindest soweit sie das Lösen des Falls oder die Interessen seines Mandanten beeinträchtigen könnten.

Der Stil Chandlers ist locker und zeitgeistig-cool, genau der Ton wie man ihn sich für einen Krimi der 30er/40er wünscht. Der Humor Chandlers ist hintergründig und wirkt sicher nur in diesen Büchern, in diesem Genre, ein aus dem Zusammenhang gerissenes Zitat würde ihn platt und albern aussehen lassen, dabei sind es immer genau die richtigen Stellen an denen dieser schelmische Ton angeschlagen wird.

Die Spannung ist nicht mit der eines modernen Krimis oder gar Thrillers vergleichbar. Solche Bücher liest man nicht (allein) aus diesem Grund. Keine Verfolgungsjagden, keine Schießereien und keine Psychopathen, den Reiz macht die Person Marlowes aus. Seine Ansichten, sein (leicht) melancholisches Draufgängertum, seine Coolness unterhalten, aber trotzdem geht es (auch) um einen verwinkelten Kriminalfall, dessen Lösung im Klimax fesselt.

© Büchergilde Gutenberg
© Büchergilde Gutenberg

Die Aufmachung meiner Ausgabe ist, wie bei der Büchergilde gewohnt: gutes Papier, Lesebändchen, das Cover aus farbig bedrucktem Leinen, großzügiger Satz und Fadenheftung. Dazu die nette Idee den Vorsatz aus silbernem Zigarattenpapier zu gestalten. Die Illustrationen aber sind abstoßend häßlich! Ich kann meiner Ratlosigkeit darüber gar keinen Ausdruck verschaffen, kann nur sagen, dass sie mich stellenweise sogar gestört haben, keiner konnte ich irgendetwas, gar einen Mehrwert für das Buch, abgewinnen.

Zu Heinz Rudolf Kunze habe ich inzwischen ein gespaltenes Verhältnis. Der Mann, nun ohne Schnäuzer, mit dem immer erhobenen Zeigefinger, vehement zur Schau gestellter, und damit aufgesetzt wirkender, Liebe zu Literatur, Schreiben, Weltfrieden und Europa und jetzt mit einem neuen Reim-dich-oder-ich-fress-dich-Album, wir haben uns in den letzten Jahren sichtlich auseinander gelebt. Marlowe dagegen ist mein Mann, sollte es mich also in nächster Zeit mal wieder nach einem Krimi und einem coolen Detektiv gelüsten. Aber trotzdem, ich schäme mich nicht es zuzugeben, z.B. für Finden Sie Mabel hat HRK für immer einen Platz in meinem Herzen.

Verfilmt wurde Der große Schlaf als Tote schlafen fest 1946 mit Humphrey Bogart in der Rolle des Marlowe.

Kategorien Allgemein Rezensionen

Tilman berät als Rechtsanwalt Verlage, Autoren und andere Kreative im Urheber- und Medienrecht. Als Blogger hat er sich sowohl im Bereich der Literaturkritik als auch -vermittlung in der Branche einen Namen gemacht. Rechtsanwalt Winterling ist zudem als Jurymitglied (u.a. Hamburger Literaturförderpreise) und Moderator von Lesungen tätig, sowie gefragter Interviewpartner (u.a. Deutschlandfunk, Radio Eins), wenn es darum geht verständlich und unterhaltsam über rechtliche Themen und solche des Bloggens zu berichten.

  1. Wow, eine tolle Rezension! Das Lied ist mir bekannt, der Klassiker noch nicht. Ich bin begeistert!

  2. Danke für den Hinweis, der mich vielleicht im nächsten Gildenkauf beeinflussen wird 😉
    Und dito in Sachen Kunze – natürlich nur die alten Sachen. Mein Vater hatte ein einziges Album: Die Städte sehen aus wie schlafende Hunde. Und das lief bei uns hoch und runter; kann ich auswendig…

  3. Sinja Marsfeld

    Entweder hat unser Rezensent den Krimi dann eben doch nicht bis ans Ende gelesen (“ … aber trotzdem geht es (auch) um einen verwinkelten Kriminalfall, dessen Lösung im Klimax fesselt …“), oder er ist der Erste, der das Ganze verstanden hat.
    Nach eigenem Einverständnis hatte Chandler selbst längst den Überblick verloren, was auch für Regisseur, Schauspieler etc. der Verfilmung gilt. Es ist zu vielleicht zwei Dritteln ein (auch sprachlich) grandioses Vorzeige-Stück, aber eben letztlich verpfuscht. Gleichwohl ist die Lektüre drinkend … äh … dringend empfohlen.

    • Natürlich hat der Rezensent das Buch, wie immer, wenn nichts anderes dabeisteht, zu Ende gelesen.
      Ich habe nach einem halben Jahr zwar die komplette Geschichte nicht mehr auf dem Schirm, habe aber keine großen Ungereimtheiten entdecken zu können. Dass der Krimi nicht komplett durchkomponiert ist, habe ich eher als positiv und als besondere angenehme Schrulle von Autor, Detektiv und Zeitgeist registriert. Kein moderner Highend-Thriller, sondern eine Geschichte, mit Personen, mit Ecken und Kanten.
      Als ein verpfuschtes Buch habe ich es nicht wahrgenommen und hätte es sonst auch nicht empfohlen (Deiner Meinung nach Vorzeige-Stücke fürs Verpfuschen?).

      Vielen Dank für Deinen ersten Kommentar bei 54books!
      Tilman

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