
Jeder Literaturinteressierte, -blogger, jeder, der sich mit Literaturkritik und -diskussionen im Internet beschäftigt, wird ihr über kurz oder lang über den Weg laufen. Karla Paul hat mit ihrem Blog www.buchkolumne.de als Kritikerin und Podcasterin früh Aufmerksamkeit, Bekanntheit und Preise gesammelt, heute ist sie einer der führenden Köpfe bei lovelybooks. Hierdurch haben wahrscheinlich wenige einen besseren Überblick über die Vernetzung in der Branche, die Risiken und Möglichkeiten der „neuen Medien“ im Literaturbetrieb und die neusten Trends. Klar, dass ich mit ihr über alle diese Dinge und ihre Lieblingsbücher, sowie die eigene Autorenschaft sprechen wollte.
Literaturkritik im Internet
54books: Man darf Dich wahrscheinlich getrost als eine deutsche Pionierin der Literaturkritiker im Internet bezeichnen. Wie kam es dazu?
Karla Paul: Ich freue mich natürlich, wenn ich Leser dazu bringen kann mehr zu lesen, oder aber gar Nichtleser zum Lesen animieren kann. Deswegen bin ich aber keine Pionierin – viele Medien haben mir diese Rolle in der letzten Zeit dank meiner inzwischen recht hohen Reichweite sozusagen auf den digitalen Leib geschrieben. Ich selbst würde mich allerdings nicht so bezeichnen. So wirklich angefangen hat alles 1988, als ich Lesen lernte. Von da an ging es eigentlich steil bergauf – Gewinnerin des Lesewettbewerbs in der Grundschule und seit jeher hielt ich mich lieber in der Welt der Bücher als in der Realität auf.
54books: Wie wurde das Lesen Dein Beruf?
Karla Paul: Erste Rezensionen und Autoreninterviews habe ich mit 16 Jahren für die regionale Zeitung geschrieben. 2006 habe ich im Rahmen meines Studiums die Website Buchkolumne.de sowie den dazugehörigen Literaturpodcast ins Leben gerufen. Innerhalb von drei Jahren hatte dieser 5.000 Abonnenten. Seit 2009 arbeite ich hauptberuflich als Redaktionsleiterin und Social Media Managerin für LovelyBooks.de – das größte deutschsprachige Literaturnetzwerk – und halte inzwischen auch Vorträge rund um Literaturblogs, Social Media für Autoren und Verlage sowie Online Marketing an Universitäten und für verschiedene Firmen in der Buchbranche. Ich kommuniziere sehr gerne und fast ohne Unterbrechung online und Literatur ist mein Herzensthema – in diesem Fall kommt Beruf tatsächlich von Berufung.
54books: Wir müssen über ihn sprechen: Denis Scheck! Du warst in letzter Zeit nicht immer seiner Meinung, viele Dinge stoßen Dir unschön auf. Was genau?
Karla Paul: Denis Scheck hat sich ohne Zweifel in vielen Jahren einen Namen gemacht. Er kennt sich sehr gut aus und ich liebe seine Interviews, seine wunderbare Art mit dem Anzug ganz als Gentleman seine Autoren dann selbst noch in die Sauna oder auf dem Pferd zu begleiten. Nicht ganz so ein Gentleman ist er dann aber, wenn er Bücher verreißt und das oft auf eine sehr einseitige Art und Weise. Manche Genres liegen ihm einfach nicht und das macht er recht deutlich klar. Als Literaturkritiker sollte man das aber sachlich unterscheiden können – viele Romane können mir vom Thema her nicht liegen und dennoch für genau diese spezielle Zielgruppe gut geschrieben sein. Außerdem sehe ich das etwas massentauglicher: was immer Dich begeistert – lies es! Ich halte es für arrogant den Menschen vorzuschreiben was sie lesen sollten – ich bin froh, wenn sie es überhaupt tun.
54books: Ist die Zeit der Literaturkritik der gesetzten Herren und Feuilletonnisten vorbei? Wenn ja: Wer kommt jetzt?
Karla Paul: Grundsätzlich gilt: je mehr Menschen über Literatur reden und tolle Bücher empfehlen, desto besser. Mir ist dabei völlig egal, ob das Menschen mit geisteswissenschaftlichem Hintergrund oder Hobbyliteraturblogger sind. Manch ein Leser legt Wert auf das Feuilleton – andere Leser schätzen dafür die Empfehlungen von Freunden mehr. Für viele hauptberufliche Kritiker bedeutet dies aber Probleme, weil nun jeder etwas zu Büchern sagen kann und ihre Meinung automatisch weniger Wert ist – es gibt ja so viele Alternativen. Dies gilt aber nur, wenn man keinen USP, also kein Alleinstellungsmerkmal hat. Manch einer hat dies verstanden und nutzt die Möglichkeiten nun zur weiteren Vernetzung und um sich nicht nur in der Zeitung, dem Radio oder dem Fernsehen einen Namen zu machen, sondern auch im Netz.
54books: Fällt Dir jemand ein, der die sozialen Medien hier besonders gut nutzt?
Karla Paul: Ein gutes Beispiel hierfür ist mein Freund Peter M. Hetzel von Sat.1, der seine Kritiken nicht nur auf YouTube hochlädt, sondern sie auch auf Facebook und Twitter verbreitet und dort ebenfalls mit Autoren und Verlagen Kontakt hält. So nutzt man die Möglichkeit, um auch neue Leser auf die eigenen Rezensionen aufmerksam und zu Fans zu machen. Wer dies verstanden hat, der hat heute eine ebenso gute Chance wie vor 10-20 Jahren, wenn nicht sogar bessere. Wer dies nicht verstanden hat, das Internet weiterhin für eine seltsame Laune der Jugend hält und die vielen Möglichkeiten nicht sieht, dessen Zeit ist tatsächlich vorbei. Außerdem muss man neben den gesetzten Herren Reich-Ranicki, Denis Scheck usw. auch die vielen Frauen wie Elke Heidenreich, Thea Dorn, Amelie Fried, Felicitas von Lovenberg oder den Nachwuchs wie Dana Buchzik erwähnen. Das Ungleichgewicht liegt vielleicht eher in der mangelnden Aufmerksamkeit für als in der fehlenden Anwesenheit von spannender junger Kritik.
54books: Überblickt man im Schnelldurchgang die Kritikerszene im Internet, fällt schnell auf, dass das Gros der Besprechungen nur solche der Unterhaltungsliteratur sind. Wer übernimmt die Arbeit des Feuilletons, wie sollen die Besprechungen die Generation erreichen, für die das Internet immer noch „Neuland“ ist?
Karla Paul: Welche Generation meinst Du? Mein Vater ist über 70 Jahre alt und surft auf dem iPad. Die Frage solltest Du vielleicht auch eher dem Feuilleton stellen. Ich provoziere mal weiter – ist die Arbeit der Feuilletonisten denn wirklich nötig? Wer ist schuld, wenn die Liebhaber von Unterhaltungsliteratur im Internet aktiver sind? Manch ein hauptberuflicher Literaturkritiker sieht nicht die Notwendigkeit für eine Anwesenheit im Netz – das ändert sich aber stetig. Ich könnte auf Anhieb ein Dutzend Blogger und Journalisten nennen, die online aktiv sind und sich der gehobenen Literatur verschrieben haben. Stefan Mesch schreibt für die Zeit und bloggt und postet täglich Facebook-Postings, Stefan Möller postet Buchtipps auf Tumblr, Mara Giese liest und bespricht mit anderen Bloggern gemeinsam die Shortlist des Deutschen Buchpreises, „Herbert liest“ ist ein sehr beliebtes YouTube-Format – davon könnte ich viele weitere Beispiele aufzählen. Wie immer online: das Problem ist nicht die Masse oder die Art der Information, das Problem ist Dein Filter!
Dein Leben als öffentliche Person
54books: Zwangsläufig wird jeder Literaturblogger auf einem der Netzwerke mit Dir Berührungspunkte bekommen. Jeder heißt, dass auch diejenigen, deren Arbeit Du schlecht findest, mit Dir interagieren wollen. Musst Du viele Leute vor den Kopf stoßen?
Karla Paul: Ich bin ehrlich. Das hat mich in den letzten 30 Jahren schon viele Pluspunkte gekostet – dafür kann man auf meine Meinung vertrauen und ich versuche mir für jeden Zeit zu nehmen. Wem es nur um halbherziges Lob geht, der kann sich dies gern woanders abholen und wer mit ernsthafter Kritik nicht umgehen kann, der wird in der Zusammenarbeit mit anderen Menschen ebenfalls Probleme bekommen. Mich mag ja auch nicht jeder – je höher die Reichweite ist, desto mehr Kritik erhält man auch und das muss man irgendwie verarbeiten können. Ich diskutiere und streite gern über Literatur, aber nein, ich hoffe, dass ich nicht viele Leute vor den Kopf stoße.
54books: Noch schwieriger wird das wahrscheinlich bei lovelybooks, musst Du Dich „fürs Geschäft“ mit Deiner Meinung zurückhalten?
Karla Paul: Zu manchen Dingen kann ich mich deswegen nicht äußern, ja. Über viele Entwicklungen weiß ich vielleicht schon eher Bescheid, man hat Insiderwissen und dementsprechend auch Verantwortung und Pflichten – dies wächst ebenso wie die Möglichkeiten in einer entsprechenden Position. Deswegen verkaufe ich mich aber nicht, d.h. das Marketing bei LovelyBooks ist immer unabhängig von meiner Meinung und ich setze mich auf meinen privaten Accounts nur für die Bücher und Autoren sowie Projekte ein, die ich wirklich auch persönlich unterstützen möchte.
54books: Die NEON kürte Dich zur „Literaturpäpstin“. Was überwog: Zuspruch, Neid oder Anfeindungen?
Karla Paul: Zu 99 Prozent gab es viele Glückwünsche und jede Menge Zuspruch. Neid muss man sich erarbeiten und das gehört eben dazu. Anfeindungen gab es glücklicherweise bisher nie oder evtl. bekomme ich davon auch einfach nichts mit. Ein bisschen seltsam war natürlich das Timing – ich werde als neuer Reich-Ranicki gekürt und eine Woche später stirbt der wohl bekannteste Literaturkritiker im deutschsprachigen Raum. Da kamen dann schon ein paar Kommentare, die musste ich mir natürlich gefallen lassen.
Die Autorin
54books: War das Schreiben von „Das Alphabet der Bücher“ eine Zwangsläufigkeit oder musste der Verlag auf Dich zugehen?
Karla Paul: Der Verlag kam auf mich zu als meine Präsenz noch weit weniger groß war – das war damals aufgrund einer kleineren Berichterstattung in der Süddeutschen Zeitung. Allerdings arbeite ich noch immer daran und bin sehr froh, dass mein Verlag so geduldig mit mir ist. Also schreibe ich lieber mehr dazu, wenn es denn dann wirklich fertig gestellt und in den Läden erhältlich ist.
54books: Wird die Social-Media-Königin als Autorin alle ihr möglichen Register ziehen um die Werbetrommel für das eigene Werk zu rühren, oder willst Du Dich bedeckt halten?
Karla Paul: Das werde ich gemeinsam mit dem Verlag entscheiden. Aber die ein oder andere Idee werde ich mir sicherlich nicht verkneifen können.
Entwicklungen auf dem Buchmarkt
54books: Alle sprechen über das E-Book. Du stehst (wahrscheinlich) aufgrund Deiner Internetaffinität auch diesem nahe. Hand aufs Herz, glaubst Du an eine Zukunft des Papiers oder bist Du vielleicht sogar der Meinung, dass dessen Zeit einfach vorbei ist?
Karla Paul: Das gedruckte Buch ist das erfolgreichste Medium überhaupt und ich sehe keinen Grund, warum sich das ändern sollte. Das E-Book ist lediglich eine neue Möglichkeit die Inhalte wiederzugeben und eine Alternative der Nutzung, kein Ersatz. Ich passe die Literatur meinen Lesemöglichkeiten an: beim Joggen höre ich ein Hörbuch, in der U-Bahn lese ich auf dem Reader ein E-Book und daheim im Bett genieße ich das Blättern zwischen Papierseiten. Je mehr Möglichkeiten dazu kommen, desto mehr lese ich und desto mehr Geld gebe ich dafür aus. Es werden in Zukunft sicherlich weniger gedruckte Bücher verkauft – viele Leser nutzen lieber die oft günstigere Möglichkeit des E-Books – zumal es innerhalb von Sekunden verfügbar ist und Platz spart. Vieles spricht aber auch dagegen – viele Menschen lieben ihre Bücher im Regal, wollen Seiten umblättern, der Besuch in der Buchhandlung ist ein sozialer Austausch und nicht nur Konsum. Literatur wird aber auch nicht schlechter, nur weil sie als Datei wiedergegeben wird.
54books: Interaktionen mit dem Leser im E-Book, im Internet, immer mehr Autorenmarketing – hat ein gutes Buch das nötig oder kann man sonst in der Flut der Neuerscheinungen nicht mehr auf sich aufmerksam machen?
Karla Paul: Auch ein gutes Buch muss irgendwie entdeckt werden. Das beste Produkt nutzt Dir nichts, wenn Du keine Werbung dafür machst. Nur in den wenigsten Fällen (wie z.B. bei „Tschick“ des kürzlich verstorbenen Autors Wolfgang Herrndorf) wird ein Buch tatsächlich von Lesern entdeckt und per Mundpropaganda so oft empfohlen, dass es auf der Bestsellerliste landet. Wie soll das Gespräch über Bücher entstehen, wenn niemand anfängt darüber zu reden? Da muss man oft nachhelfen. Trotzdem ist dies keine Garantie – viele gute Bücher bleiben trotz viel Werbung Geheimtipps, manch anderes Buch wie Shades of Grey verbreitet sich auch ohne Marketing. Es gibt da kein Wundermittel.
54books: Nicht jeder ist Autor, nicht jeder kann schreiben, viele tun es trotzdem. Wird die Flut abebben?
Karla Paul: Wer beurteilt denn genau, wer sich als Autor bezeichnen darf und wer nicht und wer schreiben kann und wer nicht? Das soll der Leser entscheiden und beliebte Bücher werden sich durchsetzen.
Deine Empfehlungen
54books: Magst Du für uns Deine drei liebsten Klassiker küren?
Karla Paul: „Der Proceß“ von Kafka. „Es waren Habichte in der Luft“ von Lenz. „Schöne neue Welt“ von Huxley. Alle toll geschrieben, der Inhalt bleibt (leider) immer aktuell und trotzdem fassen sich die Autoren bemerkenswert kurz.
54books: Hast Du einen Geheimtipp, der bis jetzt in der Flut der Internetrezensionen untergegangen ist oder vielleicht gar nicht beachtet wurde?
Karla Paul: Da verweise ich gern auf meinen Beitrag und meine fünf Empfehlungen hier: http://fuenfbuecher.de/karla-paul/ Und Scarlett Thomas mit „Troposphere“ oder aber „Shakespeare & Company“ oder aber … ach, wer mir online folgt, der sollte das eigentlich immer mitbekommen und ich kann mich nicht entscheiden. Lest einfach, lest viel und gern und alles was Ihr finden könnt!
54books: Ich danke Dir sehr herzlich für Deine Zeit und die ausführlichen Antworten.
Sehr interessantes Interview, vielen Dank dafür. Karlas Standpunkten schließe ich mich an.
Bleibt es denn nun beim angekündigten Erscheinungstermin von „Das Alphabet der Bücher“? (8.Januar 2014, war ja bereits verschoben worden)
Klingt ja eher so, als müssten wir noch länger warten…
2014 steht für mich fest. Für den Monat gebe ich allerdings keine Garantie! 🙂