Welcher Zuschauer wäre da nicht in Lachen ausgebrochen angesichts der Verrücktheit des Herrn und der Einfalt des Knechts? S. 329
Don Quijote? Durchgeknallter Kerl und Windmühlen! – Alle meinen Cervantes‘ Don Quijote zu kennen, außerdem zu wissen, dass er schwer zu lesen ist, weil sehr alt und dick. Und so wäre auch ich geneigt gewesen um dieses Buch einen Bogen zu machen, gäbe es nicht meinen Hanser Neuübersetzungslieferanten in Oldenburg. Auch wenn über die Güte der Übersetzung von Traditionalisten mit jeder Neuerscheinung gestritten wird, hat der Hanser Verlag es geschafft Größen ihres Faches für diese wunderbare Reihe zu gewinnen: Elisabeth Edl, Barbara Conrad oder, wie im vorliegenden Fall, Susanne Lange. Dazu kommt, dass man sich bei Hanser möglichst an das Original halten will und daher Urfassungen oder ungekürzte Versionen herausgibt. Für mich als Leser hat dies den Vorteil, dass ich, wenn ich mir diese Klassiker vornehme, nicht eine zusammengeklitterte Fassung in einem Billigband mit Pappedeckel lesen muss, sondern den handlichen Leinenband mit Lesebändchen und fadengehefteten Dünndruck in den Händen halte, der dem Original in Sprache und Zusammenstellung besonders nahe ist, wie in dieser Reihe üblich versehen mit einem umfangreichen Nachwort und Erläuterungen. Nach Anna Karenina, Moby Dick, Oblomow, Die Kartause von Parma sowie Krieg und Frieden hab ich nun also den ersten Band Der geistvolle Hidalgo Don Quijote von der Mancha von Miguel de Cervantes Saavedras gelesen. (Zur Rezension von Band 2)
„Was ist das für ein Mann, Herr, der so seltsam aussieht und so seltsam spricht?“ „Wer sonst“, antwortete der Barbier, „als der treffliche Don Quijote von der Mancha, Geißler aller Frevel, Heiler allen Unheils, Beschirmer aller Jungfrauen, Schrecken aller Riesen und Sieger aller Schlachten?“ S. 573

Ein verarmter Landadliger wohnt in der Mancha, uns heute besser als Kastilien bekannt, und verbringt seine Tage damit Ritterromane zu lesen. (Cave! auch wenn manchem das Erscheinungsjahr des Quijote von 1605 sehr lang her erscheinen mag – Ritter gab es da nicht mehr!) Der phantasievolle, bereits gealterte, Junggeselle hat sich eine stattliche Bibliothek zusammengesammelt, diese aber, anders als ich, auch komplett gelesen, und verfällt immer mehr in den Wahn seinen Helden nacheifern zu wollen. Ausgerüstet mit einer alten Rüstung und einer Schindmähre, die er Rosicante tauft, bricht er auf Abenteuer zu erleben, ernennt eine verflossene Jugendliebe, die er seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen hat zu seiner idealistisch geliebten Maid und empfängt den fehlenden Ritterschlag von einem Wirt. Tragischerweise wird der tapfere Mann von allen Realisten meist ohne viel Federlesen verdroschen. Bei einem Lazarettbesuch im eigenen Hause beschließt er, immer auf Authenzität bedacht, sich einen Knappen zu nehmen und rekrutiert den Bauern Sancho Panza auf seinem Grauohr. Der kleine Dicke und der große Dünne (haben hier Dick und Doof geklaut?!) ziehen nun erneut los, während zur späten, zu späten, Rettung Don Quijotes in seinem Haus seine Bibliothek vom befreundeten Pfarrer und dem Barbier des Dorfes geschändet werden.
Gleich zu Beginn findet der berühmte Kampf gegen die für Riesen gehaltenen Windmühlen statt. Aber Quijote kämpft auch gegen Weinschläuche, befreit Gefangene, die sich aufgrund seiner dreisten Forderungen sofort gegen ihn wenden oder erlöst einen misshandelten Knecht von seinem Herrn, der sich dafür umso ärger an diesem rächt, sobald der Ritter außer Sichtweite ist. Die einzelnen Abenteuer werden immer wieder von den Geschichten derer durchzogen, die der fahrende Ritter auf seinem Wege trifft. Als Barbier und Pfarrer ausziehen, um ihren Freund mit einer List wieder nach Hause zu locken, gerät das ganze in ein aberwitziges Schauspiel, dass nur Don Quijote und Sancho Panza nicht so recht zu durchschauen, immer aber erklären können.
Diese Begründungen der quijoteschen Bemühungen, die Rechtfertigungen und Erklärungen für Fehlschläge bilden einen stetigen Höhepunkt, und wenn es im Zweifel ein Zauberer war, der sich gegen die beiden Helden wadt. Sancho Panza scheint trotz seiner Einfältigkeit immer wieder den Wahn seines Herren zu durchschauen, doch der Vernuft tritt Quijote entgegen, so auch als Sancho die für einen Helm gehaltenen Schüssel eines Barbiers als solche enttarnen will.
„Wirklich, Sancho, […] du hast den kürzesten Verstand, den je ein Knappe auf der Welt besaß oder besitzt. Ist es die Möglichkeit, dass du schon so lange mit mir ziehst und immer noch nicht begriffen hast, dass bei den fahrenden Rittern alles nach Hirngespinst, Torheit und Ungereimtheit aussieht […]? Und nicht etwa, weil es das wirklich wäre, sondern weil immerzu ein Schwarm von Zauberern unter uns wandelt, die all die Dinge verzaubern und vertauschen und so verkehren, wie es ihnen beliebt, je nachdem, ob sie uns begünstigen oder vernichten wollen. […] Und welch weise Voraussicht des Zauberers, der mir gewogen ist, dass alle für ein Becken halten, was wirklich und wahrhaftig der Helm des Mambrin ist, denn so wertvoll ist er, dass ein jeder versuchen würde, ihn mir abzujagen, aber da ihn alle für eine Bartschüssel nehmen, macht ihn mir keiner streitig […].“
S. 252
Anders als so manche Bearbeitung für Film, Zeichentrick, Musik, Hörspiel etc. glauben lässt, ist Don Quijote aber nicht albern; es ist vielmehr die tragische Geschichte eines verstiegenen Idealisten. Allen Widrigkeiten zum Trotz kämpft der Ritter für das Gute, dass seine Bemühungen scheitern, liegt nicht nur an seinem Unvermögen, sondern auch an den Widerständen der zu Rettenden und zu Beschützenden oder der faktischen Unmöglichkeit. Und trotzdem lässt er sich nicht entmutigen, sondern setzt sich weiter ein, nie zweifelt er an seinen eigenen Grundsätzen und gerät auch durch Zureden oder Prügel nicht ins Wanken.
Cervantes schafft es durch das großzügige Einflechten von Geschichten, die Weggefährten der Beiden erzählen oder vorlesen, den Leser dem Quijote nicht ungnädig werden zu lassen, denn im Laufe der Lektüre kann einem der Ritter von der traurigen Gestalt in seiner Sturheit schon auf die Nerven fallen. Während also der Schäfer die Geschichte seiner unglücklichen Liebe darstellt oder der Pfarrer im Gasthaus eine Novelle vorträgt, wird der wahnhafte Ritter ausgesperrt, nach kurzer Verschnaufpause wird der Leser ihm wieder gewogen sein.

auf der Plaza de España in Madrid,
im Hintergrund sitzend Cervantes
Die Sprache ist, habe leider keine andere Übersetzung zum Vergleich zur Hand, so übervoll an Bildern, wie der Roman an Geschichten. Anders als zu vermuten, vielleicht zu befürchten, kann auch der Leser mit einem Abstand von über 400 Jahren dieses Großwerk der Literatur ohne Anstrengungen lesen und verstehen. Die üppigen für jede Seite vorhandenen Erläuterungen lassen keine Frage offen und der aufmerksame Leser kann hierdurch viel über historische Ritterromane und deren Figuren, Spanien und die Welt lernen und erkennt was Don Quijote auch ist: ein perfekt komponierter Roman, der in der Sturktur des Einbindens von Episoden stark dem Decamerone ähnelt.
Wem dies alles noch nicht reicht, der darf in der Flut von Schimpfwörtern und Kraftausdrücken des Quijote baden: Gottloser Lump, Grobsack, Galgenspeck, Windbeutel, Schlagenzunge, Hurenbock, Himmelhund, Staublecker, Donnerhure. Nur diese kleine Auswahl an Herrlichkeiten kann nicht abbilden, welchen unglaublichen Spaß die Lektüre dieses Romans macht. Ich kann sie jedem interessierten Leser nur ans Herz legen, der erste (?!) moderne Roman schlägt auch heute noch fast alle nach ihm erschienen. Die Windmühlenepisode, mag sie auch noch so häufig zitiert werden, ist nur ein winziger Ausschnitt und lässt nur Erahnen welche Kraft und Freude in diesem Buch steckt.
Band 2 liegt schon bei mir bereit.
Auch die „dtv-Taschenbuchbudgetversion“ ebendieser Übersetzung lässt das bibliophile Herz (für weniger als die Hälfte!) höher schlagen;)
Danke für den, nun auch öffentlichen, Hinweis, lieber Timm.
Unbedingt auch Tom Sawyer und Huckleberry Finn in der Neuübersetzung von Andreas Nohl lesen.
Und Charles Dickens Große Erwartungen und und und … Ja, die Hanser-Klassik-Reihe ist wirklich ein Segen.
Gruß Jochen – Und viel Spaß mit Sancho und dem Don!
Band zwei habe ich eben abgeschlossen, eventuell rezensiere ich diesen auch noch hier. Die Hanser Neuübersetzungen sind ein herausragendes Stück Buchkultur, meine Leidenschaft für diese Bücher kann man auch an meinem Titelbild ablesen.