Das Unabwendbare schreiben – Vom Erzählen der Klimakatastrophe

von Fabius Mayland

Wie schreibt man Literatur über Umweltschutz und katastrophalen Klimawandel? Das Thema ist mittlerweile überaus relevant, und Literatur hat regelmäßig den Anspruch, auf irgendeine Art relevant zu sein. In den USA gibt es seit nunmehr mindestens fünfzig Jahren eine ökologisch orientierte Untergattung speziell des Science-Fiction-Genres, aus der sich auch beträchtliche Teile des neueren Begriffs climate fiction oder cli-fi erschließen. Doch die Klimakatastrophe setzt auch der Science-Fiction eine Grenze.

Diese Grenze ist die Notwendigkeit, dass sich futuristische Science-Fiction auf irgendeine Weise eine Zukunft vorstellen muss, während gleichzeitig jeder neue Monat politischen Versagens die Anzahl der möglichen Zukünfte ein kleines bisschen weiter eingrenzt. Der Klimawandel stellt daher eine Art unüberwindbares Hindernis für Fiktionen dar. Ignoriert die Autorin ihn in der Zukunftsvision, ist das Resultat quasi automatisch Eskapismus, bei dem jede Leserin erstaunt fragen mag, was denn in dieser fiktionalen Welt aus dem Klimawandel geworden ist. Entschließt man sich stattdessen, über die Klimakatastrophe zu schreiben, bleiben eigentlich nur Apokalypse oder Utopie.

Diese beiden Endpunkte haben auch in früheren Dekaden bereits maßgeblich die Koordinaten der Science-Fiction bestimmt. Und vor dem Klimawandel gab es, wie optimistisch gestimmte ältere Menschen mal gerne erinnern, auch schon Y2K, Ozonloch, und nuklearen Krieg. Meine Eltern sagen mir bis heute, dass sie „damals“ (gemeint ist die Zeit des NATO-Doppelbeschlusses, also die frühen 1980er) auch manchmal Angst hatten, die Welt würde enden, nur eben nicht durch den Klimawandel, sondern in einem dritten, atomaren Weltkrieg. In den USA war diese Furcht maßgeblich religiös durch den Dispensationalismus geprägt. In einer Befragung gaben 1984 mehr als ein Drittel der amerikanischen Bevölkerung an, dass die biblisch geschilderte Zerstörung der Erde durch Feuer eine Referenz auf einen bald kommenden Nuklearkrieg sei. In der Science-Fiction findet sich die nukleare Apokalypse beispielsweise bereits 1959 in Walter Jr. Miller’s A Canticle for Leibowitz (Lobgesang auf Leibowitz, 1971), in welchem der junge Ordensbruder Francis die Wüste des amerikanischen Westens im 26. Jahrhundert durchstreift. In einem fallout survival shelter, also einem Schutzbunker gegen radiologische Strahlung, findet er profane Dokumente — etwa eine Einkaufsliste — aus den 1950ern, entstanden, kurz bevor die Welt unterging. Die Mönche des Klosters, dem Francis angehört, halten sie für Heiligtümer ihres Namenspatrons, und auch sonst erscheint die vor-apokalyptische Vergangenheit nur schwer zu lesen, zu entziffern: Francis hält den „fallout survival shelter“ nicht für einen Bunker, der menschliche Insassen vor Strahlung schützt, sondern für ein Gebäude, in dem schreckliche Monster namens „Fallout“ überlebt haben könnten.

Die Finalität der Klimakatastrophe

Der Unterschied zwischen Nuklearkrieg und Klimakatastrophe ist nur eben, dass Ersteres sich (zumindest bisher) nicht ereignet hat. Die temporale Logik des Nuklearkriegs ist, dass er entweder entfacht wird oder nicht. Dazwischen gibt es nicht viel Raum. Ein Science-Fiction-Text der 50er oder auch 80er Jahre konnte sich jederzeit entscheiden, eine Zukunft zu imaginieren, in der es nicht zum dritten Weltkrieg kommt, ohne, dass die Leserin sofort ungläubig fragt, was denn nun aus den Sprengköpfen geworden sei. Das Potenzial eines Nuklearkriegs war stets vorhanden — gemessen an der doomsday clock, der Atomkriegsuhr, deren metaphorischer Minutenzeiger angeben sollte, wie nah der doomsday, der Tag des Jüngsten Gerichts war. Gestellt wird die Uhr, bis heute, vom Bulletin of the Atomic Scientists. 1984 wurde die Uhr auf ihre bis dahin dramatischste Uhrzeit gestellt, drei Minuten vor zwölf. Nur, dass diese konzeptuelle Uhr eben nicht beständig weitertickte, sondern sowohl vor- als auch zurückgestellt wurde. 1988 war die Welt nicht ein paar Minuten weiter durch die Zeit gereist, sondern zurück, plötzlich stand die Uhr auf sechs Minuten vor Zwölf, bilateraler Abrüstung sei Dank.

Pershing II und RSD-10 Pioner Raketen als Damoklesschwerter über der Welt, ein Schwert, das über dem eigenen Kopf baumelt, macht einen natürlich anxious: besorgt, beunruhigt, gespannt. Aber diese anxiety ist eben auch schon da, bevor tatsächlich etwas passiert. Der Klimawandel hingegen ist kein binäres Problem, das entweder stattfindet oder eben nicht. Climate anxiety als Gefühl ist keine Sorge vor etwas, das passieren könnte, sondern vor etwas, das jeden Tag im Kleinen passiert. Die Uhrenmetaphorik der doomsday clock passt hier eigentlich viel besser, mit jedem Monat tickt die Uhr ein bisschen weiter zu auf Mitternacht, und seit 2007 bedenkt das Bulletin of the Atomic Scientists auch explizit Klimawandel und Nuklearkrieg ebenbürtig als die zwei größten globalen Katastrophenpotenziale. Die Klimakatastrophe ist im Gegensatz zum Nuklearkrieg also nicht lediglich ein potenzielles Problem, sondern ein globalgesellschaftlich alltäglich fortgeführtes. 

Angst vor Überbevölkerung

Die Geschichte einer Science Fiction, die vor allem durch die Wissenschaft der Ökologie geprägt ist, ist nicht nur, aber vor allem eine Geschichte von Utopien und Dystopien. Insbesondere seit den 1970ern entstanden im Kontext von counter culture und der modernen globalen Ökobewegung zunehmend Texte, in denen entweder eine radikal bessere, enger mit der Natur verbundene Gesellschaft gezeichnet wird oder in denen sich alternativ die Menschheit durch Umweltverschmutzung, radioaktive Strahlung, oder Lebensmittelknappheit am Rande des Ruins befindet. 

Auffällig bei den Dystopien ist allerdings auch ein Fokus, der sich im Genre bereits in den 1950ern fand und der durch die Veröffentlichung von Paul und Anne Ehrlichs eher fragwürdigem Sachbuch The Population Bomb (1968) schließlich zu einem zentralen Thema wurde: der angeblichen Gefahr der Überbevölkerung. Bereits in Isaac Asimov’s The Caves of Steel von 1953 — eigentlich primär ein Detektivroman, in dem Asimov sich mit seinem Lieblingsthema beschäftigt, den möglichen Verhältnissen von Menschen und Robotern — darf man ganz nebenbei lesen, dass den Menschen der Erde zunehmende Effizienz aufgezwungen wurde, denn: „Two billion people, three billion, even five billion could be supported by the planet by progressive lowering of the standard of living. When the population reaches eight billion, however, semistarvation becomes too much like the real thing“. Die tatsächliche Weltbevölkerung stand 1953 bei 2,6 Milliarden. Das Erreichen der Marke von acht Milliarden Menschen, die Asimov so unvorstellbar schien, dass er sie mehrere tausend Jahre in die Zukunft versetzte, erwarten ForscherInnen derzeit für das Jahr 2023. Klimawandel ist im Roman noch keine Sorge, auch wenn das Öl vollkommen aufgebraucht ist; „Petroleum had long since gone, but oil-rich strains of yeast were an adequate substitute“. 

Stattdessen geht es vor allem um Platzmangel, die meisten Bürger*innen New Yorks haben zum Beispiel keine Küche mehr, sondern essen nur noch in kommunalen Kantinen. Für die Amerikanische weiße Mittelklasse, die sich seit dem New Deal der 1940er immer stärker durch den Besitz eines eigenen Hauses in den suburbs definierte, war das sicherlich eine düstere Zukunftsvision.

Und auch in der Kurzgeschichte Billennium des britischen Autors J. G. Ballard (1962) birgt die Zukunft vor allem zu viele Menschen: 20 Milliarden, denn seit den 1960ern soll das jährliche Bevölkerungswachstum ununterbrochen drei Prozent betragen haben. Tatsächlich war das Bevölkerungswachstum in den 1960ern bereits auf seinem Höhepunkt (mit zwei Prozent, nicht drei), und ist seit den späten 1980ern kontinuierlich gefallen, aktuell sind es nur noch knapp über einem Prozent. Aber die Story funktioniert sowieso eher als satirische Überziehung, nicht als realistische Warnung. 95% der Menschheit leben in der Fiktion in Städten, und alle verbringen ihre gesamte Freizeit eigentlich nur damit, nach neuen Wohnungszimmern zu suchen, wobei die Regierung gerade die maximalgröße für ein Zimmer von vier auf drei Quadratmeter senkt. 

Die beiden Protagonisten finden zufällig ein verstecktes zusätzliches Zimmer hinter der Wand ihres kleinen Heims; anders als in C.S. Lewis‘ Chroniken von Narnia oder auch Mark Z. Danielewski’s House of Leaves lauern hinter der Wand keine parallele Fantasiewelt oder geometrisch unmögliche Gänge, sondern einfach nur ein relativ großes Zimmer, das am Ende jedoch wieder überfüllt ist. Als Zukunftsvision hoffnungslos veraltet, ein Produkt der Sechziger eben, was bleibt, ist das Gefühl klaustrophobischer Enge („every thoroughfare was always packed with a shuffling mob of pedestrians […] wrestling past each other on their way to home and office, their clothes dusty and shapeless“), das im Kontext von inzwischen mehr als einem Jahr Corona-Pandemie und social distancing beim Lesen wohl fast automatisch ein bisschen Beklemmung auslöst.

Ökologisch in einem engeren Sinne wird die amerikanische Science-Fiction vor allem im pazifischen Nordwesten, 1974 veröffentlichte Ernest Callenbach Ecotopia: The Notebooks and Reports of William Weston. Fiktionaler Hintergrund der Geschichte ist, dass 1980 die Bundesstaaten Washington, Oregon, und der Norden Kaliforniens sich von den Vereinigten Staaten ablösen, und einen eigenen Staat gründen, Ecotopia. Der Plot selbst entfaltet sich zwei Jahrzehnte später, der Journalist William Weston besucht als einer der ersten US-Amerikaner den neuen Staat. Er begegnet dieser Ökotopie zuerst mit immenser Skepsis, ist am Ende jedoch so von der Lebensweise der Bewohnerinnen überzeugt, dass er sich entschließt, in Ecotopia zu bleiben. Literarisch ist der Text eher unbedeutend, aber die Ökotopie — erlaubter Drogenkonsum, sexuelle Freiheit, nähe zur Natur — traf im Nachklang der hippiesken 1960er trotzdem einen Nerv und wurde zu einem Kultklassiker der Ökobewegung; der spätere Präsidentschaftskandidat Ralph Nader, der 2000 den amerikanischen Grünen zu ihrem bis heute besten Wahlergebnis verhalf, empfahl das Buch. Dass die Handlung im Pacific Northwest spielt, war wohl kein Zufall, denn insbesondere um Portland herum entstand bereits zur Zeit der Veröffentlichung ein (größtenteils weißes) linksliberales, ökologisch geprägtes Milieu.

Erste Spuren der Klimakatastrophe in der Science-Fiction

Ursula K. LeGuin, dank der Earthsea und Hainish Geschichten eine der unangefochtenen Größen amerikanischer Fantasy und Science-Fiction, lebte seit 1959 in Portland, und ihre Texte, durch Ökologie, Feminismus, und Daoismus geprägt, waren eindeutig in der Szene der Region verankert. In The Lathe Of Heaven (1971), welches in der sonst eher wenig repräsentierten Stadt Portland spielt, geht es zwar noch nicht primär um Klimawandel, sondern um Überbevölkerung, doch im zweiten Kapitel wird im ersten Absatz klar, dass eines der größten Probleme der Überbevölkerung zumindest eine mangelnde Nähe zur Natur ist. Wie bereits in The Caves Of Steel erzwingt Überbevölkerung eine zunehmend effizientere Raumverteilung; das Büro des Psychiaters Dr. Haber muss daher leider auf Fenster verzichten, stattdessen gibt es nur das Foto des nahegelegenen Mount Hood. Auf dem Foto ist der inaktive Vulkan noch schneebedeckt, und in der Realität kann der Berg/Vulkan tatsächlich mit der längsten Skisaison Amerikas trumpfen. (Filmisch ist die Timberline Lodge, 1.800 Meter über dem Meeresspiegel, vor allem aus den Außenaufnahmen des Overlook Hotels in Stanley Kubrick’s The Shining bekannt, auch dort im Hintergrund mit einigem Schnee.) In LeGuin’s Zukunftsvision – der Roman spielt im Jahre 2002 – ist der Schnee hingegen ein Zeichen für das Alter des Fotos:

Dr. Haber gazed again at the mural and wondered when such a photograph had been taken. Blue sky, snow from foothills to peak. Years ago, in the sixties or seventies, no doubt. The Greenhouse Effect had been quite gradual, and Haber, born in 1962, could clearly remember the blue skies of his childhood. Nowadays the eternal snows were gone from all the world’s mountains, even Everest, even Erebus, fiery-throated on the waste Antarctic shore.

Der Treibhauseffekt war 1971 schon bekannt, die öffentliche Debatte um Klimawandel aber noch kaum ein relevantes Thema; die erste World Climate Conference sollte erst 1979 folgen, die UN richtet das Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC, 1988 ein. Der zentrale conceit des Romans ist aber weder speziell Klimawandel noch Überbevölkerung, sondern ein ganz anderer: der Hauptcharakter George Orr träumt manchmal Dinge, die durch das Träumen real werden. Er versucht, seine „effektiven“ Träume mittels illegaler Drogen zu verhindern, und landet, polizeilich erzwungen, im bereits genannten fensterlosen Büro des Psychiaters und Traumexperten Dr. William Haber, dem er seine Situation erklärt. Haber, der Orr zunächst für psychisch krank hält, wird nach einem anfänglichen Schock klar, dass Orr tatsächlich durch seine Träume die Realität verändern kann. Er beschließt, ihn regelmäßig in seinem Büro träumen zu lassen und dessen Fähigkeit auszunutzen, um die Welt zu verbessern. Doch die Träume erweisen sich als schwer zu kontrollieren. Haber wünscht sich, dass Orr eine Lösung für das Problem der Überbevölkerung erträumt; als Orr aufwacht, leben beide plötzlich in einer neuen Wirklichkeit, in der vor Jahrzehnten eine globale Plage den Großteil der Welt ausgelöscht hat. Orr soll den Weltfrieden erträumen; in der neuen Realität wurde eine außerirdische Invasionsflotte auf dem Mond entdeckt, die Menschheit ist versöhnt, aber nur aus existenzieller Angst. 

Am Ende des Textes lebt Orr in einer Welt, die in vielerlei Hinsicht anders ist. Ob die von Doktor Haber beeinflussten Träume Orr’s die Welt besser, schlechter, oder einfach nur anders gemacht haben, scheint schwer zu sagen. Gegenüber Weltverbesserungsfantasien ist der Roman also hochgradig ambivalent; be careful what you wish for, and be careful, muss man wohl hinzufügen, what you dream of, alles, was man tut, kann unbeabsichtigte Wirkungen haben. Explizit beeinflusst war Ursula K. LeGuin in dieser Hinsicht durch ihr Interesse am Daoismus. Zeilen aus dem 庄子 (Zhuāngzǐ) und dem 道德经 (Dàodé Jīng), zwei der wichtigsten Texte der Daoistischen Philosophie, schmücken viele der Kapitel als Epigraphen, und auch der Titel des Romans ist einer Zeile des Zhuāngzǐ entlehnt. 

Strukturell interessant ist zudem, dass der Roman, wie so ziemlich jede Dys- und Utopie des Genres, eine bereits vollendete Zukunft darstellt, eine Welt nach einschneidenden Veränderungen, aber in diesem Fall eben nicht nur eine einzelne Welt, sondern immer wieder neue. Wenn Orr aus einem seiner effektiven Träume erwacht, findet er sich nicht in einer Realität, die sich daraufhin verändert, sondern in einer, die sich bereits längst verändert hat, die schon immer anders war. Die Aktivität des Träumens wird hier zur Metapher für das Schreiben von Dystopien überhaupt; fast immer werden Welten erfunden, die bereits radikal anders sind, deren Verschiebung im Verhältnis zu unserer Realität in der Welt des Romans bereits vor Jahrzehnten stattgefunden hat, oder schon immer der Fall war. Was dabei verloren geht, wie der marxistische Literaturwissenschaftler Fredric Jameson anmerkt, ist der Sinn dafür, wie überhaupt geschichtliche Veränderungen passieren, ein Gefühl für Geschichtsprozesse und deren Zeitlichkeit.

Dystopisches Sachbuch

Während ein utopischer Text aufzeigt, was besser sein könnte, warnt die Dystopie mittels einer bereits vollendeten Zukunft davor, es nicht so weit kommen zu lassen. Auch Sachbücher können so agieren. Rachel Carson’s Silent Spring, das Buch, das nach seiner Veröffentlichung 1962 sowohl in den USA als auch weltweit maßgeblich die öffentliche Meinung zu chemischen Insektenvernichtungsmitteln prägte, fasst hauptsächlich eine enorme Bandbreite wissenschaftlicher Ergebnisse zusammen, aber auf den ersten Seiten begegnet man stattdessen einer Fabel. Eine idyllische Kleinstadt in Amerika verwandelt sich in eine Dystopie, in der es zum namentlichen stillen Frühling kommt, weil die Vögel nicht mehr zwitschern; durch DDT und andere Insektenvernichter sind auch die Vögel gestorben.

Sowohl Sachbücher zum Klimawandel als auch dystopischer Science-Fiction finden hier bis heute ihre Methode, bei den Sachbüchern zum Beispiel vor kurzem im breit rezipierten The Uninhabitable Earth von David Wallace-Wells — wobei der Buchtitel bereits klar macht, wie nah Science-Fiction und Sachbuch sich sein können. Ähnlich wie Rachel Carson arbeitet Wallace-Wells eine ungeheure Menge an wissenschaftlichen Studien durch. Bei Carson waren das allerdings, dem Thema gerecht, vornehmlich Studien von bereits gemessenen Effekten von DDT und ähnlichen Stoffen auf bestimmte Regionen. Da es beim Klimawandel hingegen viel um das Modellieren und Berechnen von zukünftigen Effekten geht, wird diese wissenschaftliche Übersicht von Wallace-Wells wie ganz selbstverständlich zu einer Art Science-Fiction: im Jahr x werden Waldbrände x Mal häufiger sein, die Ozeane so viele Meter höher, und die Lebensmittelproduktion um so viel Prozent niedriger. Und in der Science-Fiction ist die Dystopie längst zur Standardmethode geworden, den Klimawandel zu thematisieren, von den Romanen Paolo Bacigalupi’s (The Windup Girl, 2009; The Water Knife, 2015) zu Filmen wie The Day After Tomorrow (2004) und Mad Max: Fury Road (2015).

Über Grenzen hinauschreiben – The Ministry of Future

Die Grenzen dieser Art zu schreiben — die bereits geschehene Dystopie als erhobener Zeigefinger, oder die bereits geschaffene Utopie als Alternativwelt, die uns motivieren sollen — scheinen längst erreicht, die meisten Menschen wissen, dass wir bei derzeitigem Kurs auf etwas Katastrophales zusteuern. Die Frage, die sich stellt, und die keine dieser bereits vollendeten Zukünfte beantworten kann, ist eher, was nun genau getan werden muss. Auch diese Frage hat bereits eine Vielzahl an mehr oder weniger klaren Antworten, aber das Genre ist ein anderes: Policy-Vorschläge von universitären Wissenschaftler*innen, aus Regierungsbüros, von Klimaaktivist*innen und selbst von der globalen Unternehmensberatung McKinsey (im Auftrag der Europäischen Union). In all diesen Dokumenten finden sich nicht nur einzelne Bausteine für eine Klimapolitik, sondern meist auch recht genaue Aufschlüsselungen, wie viele von welchen Bausteinen notwendig sein werden. 

Diese Art von Wissen ist aber nicht nur in der Öffentlichkeit deutlich weniger verbreitet als das vage Katastrophengefühl, das wir alle, auch dank climate-fiction, bereits haben; es geht auch mit politischen Entscheidungen einher, bei denen nicht alle (Öl- und Kohlefirmen offensichtlich an erster Stelle) gewinnen werden, es geht, kurz gesagt, um politische Entscheidungen, um politische Macht. In zwei aktuellen Veröffentlichungen kann man erahnen, wie man die über diese Grenzen von Dys- und Utopie hinauschreiben kann: Kim Stanley Robinson’s The Ministry for the Future aus dem letzten Jahr, und Elizabeth Kolbert’s Under A White Sky — ein weiteres Sachbuch, dessen Titel auch einen Science Fiction Roman schmücken könnte —, das im Februar diesen Jahres erschien

Kim Stanley Robinsons Werk setzt sich seit Jahrzehnten mit ökologischen Fragen und auch speziell mit Klimawandel auseinander. In der Mars-Trilogie (1992-1996) wird unser roter Nachbarplanet kolonisiert, wobei die Romane aus verschiedenen Perspektiven politische Auseinandersetzungen über die gewünschte Zukunft für den Planeten verfolgt. Soll der Mars zu einem erd-ähnlichen Planeten erblühen, mit Pflanzen und Ozeanen? Oder sollte der Planet nicht lieber natürlich, und das heißt in diesem Fall, rot bleiben? In der Zukunft von Pacific Edge (1990) wurde Naturschutz erfolgreich umgesetzt, in der Trilogie Science in the Capital (2004-2006) scheint es eigentlich schon zu spät, der Golfstrom verlangsamt sich bereits.

Sein aktuelles Buch, The Ministry For the Future, zeichnet sich zuerst einmal dadurch aus, dass die Handlung nur wenige Jahre in der Zukunft ihren Anfang nimmt, und dann eine potenzielle Geschichte der nächsten fünfzig Jahre darbietet. Mitte der 2020er entsteht unter der Ägide der Vereinten Nationen das tituläre Ministerium für die Zukunft, das die Interessen zukünftiger Generationen vertreten soll: Eine science-fiction-typische Idee, auf die dieses Jahr tatsächlich auch das Bundesverfassungsgericht kam, als es argumentierte, dass das aktuelle Klimagesetz der Bundesregierung, indem es die meiste Arbeit auf spätere Jahre abwälzt, die Freiheit — als unser höchstes Gut — von den Menschen einschneidet, die auch nach 2030 noch leben. Soll heißen, auch die Freiheiten von zukünftigen Generationen. In der Fiktion des Jahres 2025 kommt es in Robinsons Roman zu einer enormen Hitzekatastrophe auf dem indischen Subkontinent, bei der 20 Millionen Menschen sterben. 

Auf den ersten Seiten beschreibt Robinson in einer schockierenden Detailaufnahme, was es mit der wet-bulb temperature auf sich hat, also bei der Kombinationen von Temperatur und Luftfeuchte, bei denen sich der menschliche Körper schlicht nicht mehr abkühlen kann, und ein Aufenthalt außerhalb von klimatisierten Gebäuden unweigerlich den Tod bedeutet (bei 100% Luftfeuchte liegt diese Temperatur bei 35° Celsius, bei geringerer Luftfeuchte steigt die mögliche Temperatur). Selbst dieser Roman, der sich zu einer Utopie entwickelt, scheint mit einer wachrüttelnden Katastrophe anfangen zu müssen. Das Ministerium für die Zukunft wird jedenfalls mit mehr Macht ausgestattet, und der Rest des Romans konzentriert sich auf die politischen Aktivitäten von Mary Murphy, der Chefin des Ministeriums. Mit zwölf Seiten ist das erste Kapitel sogar eines der längeren, auf gut 550 Seiten finden sich mehr als hundert Kapitel. Neben dem Haupterzählstrang besteht der Roman aus zahlreichen, voneinander unabhängigen Nebennarrativen, sowie aus theoretischen Anmerkungen zur Politik und Wissenschaft des Klimawandels. Die sekundären narrativen Kapitel erweisen sich vor allem als Augenzeugenberichte, wie Kim Stanley Robinson sie selbst nennt, die dem Anspruch gerecht werden sollen, den Klimawandel als globales Phänomen aufzuzeigen: Aktivist*nnen in Hong Kong und Paris, Minenarbeiter in Namibien, die von Rebellen befreit werden, eine Frau, die mit dem Kayak die katastrophal überfluteten Straßen von Los Angeles navigiert. Die nicht-narrativen Kapitel gestalten sich währenddessen als eigentlich urtypische Bausteine der Science Fiction, nämlich als infodumps.

Science-Fiction als Wissenstransport

Unter Infodump versteht man in der Science-Fiction Textabschnitte, die vor allem didaktischen und informierenden Charakter haben. Sie informieren über die Funktionsweise und Mechanismen einer fiktiven Erfindung, oder die Wirkung von gewissen Naturkräften (zum Beispiel, inwiefern die Gravitation beim Bau eines Weltraumlifts zu beachten ist), oder auch über die fiktionale Vorgeschichte der Handlung. Kim Stanley Robinsons Text ist voll von infodumps, aber ganz getreu der Einstellung, dass der Klimawandel längst nicht mehr ein technologisches Problem, sondern ein politisches ist, handeln diese Passagen nicht von futuristischen Kraftwerken oder fliegenden Autos, sondern eben vor allem von der Politik. Um Technologie geht es meist nur insofern, als dass Politik und Wirtschaftstheorie und Sozialformen selbst bereits eine Art Technologie oder Technik sind. Da geht es dann zum Beispiel um die Definition von Ideologie („An imaginary relationship to a real situation“), oder um die Menge fossiler Brennstoffe, die die Menschheit noch verbrennen kann (500 Gigatonnen) im Vergleich zu den fossilen Brennstoffen, die sich zwar noch tief unter der Erde befinden, die aber bereits ein Doppelleben in den Geschäftsbüchern von Unternehmen als Vermögenswerte führen (ungefähr 3.000 Gigatonnen). Auch in diesen Infodumps findet Kim Stanley Robinson noch eine gewisse Literarizität oder doch wenigstens Humor. Am Ende eines Kapitels zur Ideologiedefinition wird man mit der Aufforderung konfrontiert, bitte doch selbst noch ein bisschen nachzudenken („What one would hope for in an ideology is clarity and explanatory breadth, and power. We leave the proof of this as an exercise for the reader“), und nach einer trockenen Auflistung der größten Kohle- und Ölfirmen, in deren Bilanzen man die 3.000 Gigatonnen findet, imaginiert die Erzählstimme ironisch die gutbürgerlichen Leben der Chefs dieser Unternehmen.

Das Buch ist reich an politisch-ökologischen Ideen, manche durchdacht und sinnvoll, andere nicht so sehr, aber allein dafür lohnt es sich, wenn man Lust auf einen (sicherlich ideologisch eingefärbten) Überblick über die vielen politischen Ideen hat, die im Raum stehen, aber statt ganz trockener Wissenschafts- oder Amtssprache das ganze lieber in einem relativ unterhaltsamen Narrativskelett lesen möchte. Dabei herrscht zunächst ein gehöriger Pessimismus, nichts scheint zu funktionieren oder etwas zu bewirken. Erst im letzten Drittel des Romans gibt es wirklich Zeichen für Optimismus, die entscheidenden Zahlen gehen runter, Maßnahmen fangen an, zu wirken, und die Welt wird sogar schöner, besser. 

Der Roman ist sich nicht zu schade, auch Naturromantik aufzufahren. Die Figur Mary reist nicht mehr mit dem Flugzeug, sondern mit einem hypermodernen Segelschiff, und kommt in den Genuss, Delfine zu sehen, und überhaupt, „[the] air was salty and cool, the clouds tall and articulated, the sunsets big and gorgeous […] It was beautiful! And she was getting her work done. So — where had this obsession with speed come from, why had everyone caved to it so completely?“ Ein bisschen Utopie darf dann doch sein. Aber eben eine Utopie, die nicht außerhalb der Zeit liegt, sondern eine Utopie des fortwährenden Prozesses, denn, so die letzte Zeile des Romans, „we never really come to the end“. Das klingt außerordentlich klischeebehaftet, aber im Hinblick auf den Klimawandel kann man Robinson die Zeile nicht verdenken. Wie Adam Tooze, Wirtschaftshistoriker und spätestens seit seinem Buch zur Finanzkrise 2008 (Crashed, 2018) wohl einer der führenden Intellektuellen unserer derzeitigen Wirtschaftsordnung (insbesondere auf Twitter, wo man ihm häufig quasi live beim Auswerten von Texten und Graphen zuschauen kann) es vor kurzem zusammenfasste: „Crucially, what makes [fighting climate change] totally unlike the war [es geht um Vergleiche mit der Aufrüstung der USA während des zweiten Weltkriegs] is that there’s no happy end. There’s no moment where you win and then everything goes back to the way it was before, but just better. That’s a misunderstanding.”“ Da darf man wohl wirklich sagen: we never really come to the end. Der Roman endet, die nötige Arbeit nicht.

Roman als Twitterfeed statt Zukunftsvision

Einen Roman über Klimawandel zu schreiben, der nicht nur eine fertige, bereits radikal veränderte Zukunft präsentiert, sondern den Verlauf der Geschichte über die Jahrzehnte erzählt, ist eine interessante, gute Idee. Es gelingt Robinson allerdings auch nicht immer, diesem Anspruch gerecht zu werden, zwei Probleme stechen hervor. Zum einen lesen sich Passagen immer wieder eher so, als würden sie aus der Perspektive des Jahres 2020 erzählt werden, nicht von einer Stimme der kommenden Jahrzehnte. Wenn die Erzählstimme darüber sinniert, dass man immer einen Plan B haben sollte, und dass die griechische linke Partei Syriza 2015 gegenüber der Troika kapitulierte, weil es ihr an solch einem Plan B ermangelte (beziehungsweise dieser nicht umgesetzt wurde), fragt man sich vielleicht zuerst einmal, ob die Eurokrise 2015 wirklich im Jahre 2030 oder 2040 noch als Schlüsselereignis unserer Zeit gelten wird. 

Gewiss, Science-Fiction reflektiert zu einem gewissen Grad immer eher die Gegenwart, anstatt eine Zukunft zu erschaffen. Ursula K. LeGuin bezeichnete die Science Fiction einmal als Gedankenexperiment, das nicht aus der Gegenwart die Zukunft ableitet, sondern schlicht über die Gegenwart nachdenkt. Aber man kann diese Tendenz auch überakzentuieren, sicherlich besteht ein Teil der Freude am Genre auch im gegenteiligen Gefühl, etwas wirklich Fremdes, Verfremdetes zu lesen, das nicht einfach als plumpes Analog zu unserer Situation fungiert. Bei The Ministry for the Future hingegen liest man nicht nur von Syriza, sondern auch von einem akademischen Paper des renommierten Klimaforschers James E. Hansen aus dem Jahre 2016, von Damien Chazelle’s Film La La Land — ebenfalls 2016 —, sowie von MMT, also Modern Monetary Theory, einer postkeynesianischen Strömung der Wirtschaftswissenschaften, die es zwar schon seit den 1990ern gibt, die aber so richtig populär erst in den 2010ern wurde, auch und vor allem online. 

So liest sich der Roman manchmal weniger wie eine Zukunftsvision und eher wie mein Twitterfeed. Vollends zerstört, zumindest für einen Moment, ist das Gefühl für die Zukunft, wenn Mary Murphy irgendwann in den 2030ern die Chefin der amerikanischen Zentralbank trifft und diese auf den Namen Jane Yablonski hört. Eine offensichtliche Anspielung auf die vorletzte Chefin der amerikanischen Zentralbank Janet Yellen, die seit diesem Jahr Finanzministerin in Joe Bidens Kabinett ist.  In einem Roman, der eine potenzielle Geschichte der Zukunft erzählen möchte, plötzlich eine Figur zu finden, deren Name eher der Schreibstrategie des Schlüsselromans folgt, scheint kurios.

Unentschlossenes Narrativ

Das zweite Problem ist die Frage, was denn nun eigentlich geschichtlich passiert, wer die Geschichte antreibt. Wer ist hier Akteur? Die politische Realität unserer Gegenwart ist bekanntermaßen, dass wir alle wissen, dass nicht genug passiert, ohne dass sich daran signifikant etwas ändern würde. Wo ist der Hebel, diese Veränderung einzuleiten? Tritt man einer politischen Partei bei, agiert man lieber über NGOs, demonstriert und protestiert man, oder sollte man direkt noch einen Schritt weitergehen, und die Infrastruktur des fossilen Energiesystems direkt sabotieren (für letzteres setzt sich zum Beispiel Andreas Malm mit seinem neuen Buch How To Blow Up A Pipeline, 2021, ein)? Darauf gibt es vielleicht keine richtige Antwort, und es ist mit Sicherheit keine leicht zu beantwortende Frage. Auffällig bleibt an The Ministry for the Future dennoch, wie unentschlossen der Roman scheint. Der größte Teil der Handlung findet in den physischen oder zumindest mentalen Räumen des titelgebenden Ministeriums statt, insofern scheint die erste, offensichtlichste Antwort, dass einfach ein  ein Ministerium nötig ist, das auf wirklich kluge Ideen kommt, und diese dann umsetzt. 

In den Kapiteln abseits der Primärnarrative hingegen hört man insbesondere immer wieder von Protesten und Bewegungen. Diese erscheinen allerdings fast wie ein spontanes Phänomen, es sind keine Stimmen von Organisator*innen und Aktivist*innen, die erzählen, was für eine Herausforderung es darstellt, Bewegungen auf die Beine zu stellen. Stattdessen scheint es, als würde der Weltgeist mit einem reden. Gegen Ende hört man zum Beispiel von einem Augenzeugen, oder einer Augenzeugin, von der „billion’s occupation of Beijing“. Eine Milliarde BürgerInnen, die Beijing besetzt haben, man würde vielleicht gerne mehr darüber wissen, wie das zustande gekommen ist. Man erfährt aber lediglich, dass ein spontanes Gefühl der Solidarität die Massen mobilisierte.

Linke Bewegungen würden sich sicherlich dafür interessieren, wie genau man spontan eine derart starke globale Solidarität schafft; hier erscheint sie einfach, eine Welle der Geschichte – wie es im Roman heißt -, also eigentlich eine zufällige, äußerst glückliche Wettererscheinung. Hier sind wir also dann doch wieder in der Utopie gelandet, die Lösung des Problems wird nicht historisch durchgespielt, sondern schlicht vorweggenommen.

Neben technokratischer Arbeit und spontaner globaler Solidarität ist das dritte, und vielleicht interessanteste, Feld politischer agency im Text der Terrorismus. Erdölinfrastruktur wird zerstört, Tanker werden lahmgelegt, CEOs ermordet und Flugzeuge vom Himmel geholt. Innerhalb weniger Stunden stürzen an einem Tag sechzig Flugzeuge ab, „people, innocent people, flying for all kinds of reasons: all dead. About seven thousand people died that day, ordinary civilians going about their lives“. Die Methode des Terrorismus erfordert von Robinson einen der wenigen tiefen Griffe in den Werkzeugkasten der Science-Fiction. Die Flugzeuge wurden von Drohnen zerstört, deren Pilot*innen und Hersteller sich praktischerweise nicht nachverfolgen lassen. Containerschiffe werden versenkt durch Torpedos, die ebenso unentdeckbar bleiben. Im Angesicht der geradezu fabelhaften Budgets, mit denen Antiterrorbehörden in den Vereinigten Staaten (nach zwanzig Jahren War Against Terror), aber auch in Europa oder China ausgestattet sind, ist der Rückgriff auf einen perfekt anonymen crowdsourced Terrorismus eventuell ein bisschen zu leicht gestrickt.

Die Präsenz eines globalen Klimaterrorismus ist vielleicht das wichtigste Zugeständnis im Buch daran, dass Politik in letzter Instanz vermutlich auch unweigerlich Gewalt bedeutet, dass es Interessengruppen auf der Erde gibt, die man nicht durch rationale Debatten davon überzeugen kann, doch bitte den Planeten nicht mehr zu zerstören. Robinson möchte, wie bereits erwähnt, den Klimawandel nicht als naturwissenschaftliches Problem begreifen, sondern als gesellschaftlich-politisches, was sicherlich korrekt ist (und womit er dem neuen Buch zum Klimawandel von Bill Gates beispielsweise um Längen voraus ist). Gleichzeitig ist auffällig, dass der Terrorismus nicht nur in der Fiktion unsichtbar bleibt, die Terroristen unauffindbar, sondern dass Robinson den Terrorismus letztlich auch narrativistisch versteckt. Es gibt unzählige Narrativperspektiven, aber die des Terrorismus gehört kaum dazu. Mary Murphy stellt irgendwann fest, dass auch das Ministerium einen geheimen Terrorflügel hat, den ihr Stabschef Badim Bahadur bis dahin vor ihr verheimlicht hat. Doch die Aktionen dieses Terrorflügels bleiben vage, und im direkt anschließenden Kapitel stellt Robinson dem „black wing“ des Ministeriums die gnostisch-jüdische Legende der 36 Gerechten gegenüber, „anonymous good actors […] ordinary people, who emerge and act when needed to save their people, then sink back into anonymity“. Ohne Terrorismus scheint der Plot des Romans nicht aufzugehen, doch die Narration hingegen tut ihr bestes, ihn zu verstecken oder gar zu verunklaren. 

Gegen Ende ihrer Amtszeit, und des Romans, denkt Mary über Gerüchte nach, die sie im Internet liest; das Ministerium für die Zukunft habe einen regelrechten Krieg gegen die Oligarchie geführt, hunderte Menschen ermordet, und damit die Geschichte an entscheidenden Momenten verändert. Nein, denkt sie, eigentlich geschah alles am hellichten Tage, derartige Verschwörungstheorien über geheime Aktionen entstünden nur, weil sie Menschen das Gefühl gäben, dass irgendwer Kontrolle habe, dass die Geschichte nicht nur aus blanken Zufällen bestehe.

Gab es nun überhaupt Terrorismus, oder passierte doch alles „in the light of day“? So klar ist das am Ende nicht. Der Pfad der Geschichte, so Mary, ist offensichtlich schlicht „out of control“. Das kann man optimistisch oder pessimistisch lesen, es bleibt jedenfalls das Gefühl, dass Robinson seinem Anspruch, einen Weg von der Gegenwart zu einer (besseren) Zukunft zu zeichnen, nicht immer gerecht bleiben kann. Lesenswert ist das Buch dennoch — lernen kann man nicht nur etwas über den Klimawandel, sondern auch über die Probleme der Literatur, über den Klimawandel zu schreiben.

Probleme, die durch Lösungen entstehen – Under A White Sky

Elizabeth Kolbert’s Under A White Sky ist in vielerlei Hinsicht das Gegenteil von The Ministry for the Future. Nicht Science-Fiction, sondern Sachbuch; nicht auf der Suche nach einem allumfassenden Klimalösungspaket, sondern der schlichte Versuch, komplizierte Problemgeflechte überhaupt darzustellen; kein Anspruch auf polyphonische Gesamtdarstellung, sondern Detailaufnahmen von lokalen Situationen. Was gemeinsam bleibt, ist, dass Geschichte — im Sinne von history wie auch story — ernst genommen wird. 

Bei Robinson geschieht dies, indem eine Zukunftsgeschichte entwickelt wird, nicht nur eine bereits zukünftige Welt. Kolbert hingegen interessiert sich dafür, wie die bereits vergangene Geschichte die Gegenwart beeinflusst, für die Kontingenz der Gegenwart. „Die Menschen machen ihre eigene Geschichte“, wie Marx einst schrieb, „aber sie machen sie nicht aus freien Stücken unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorhandenen, gegebenen und überlieferten Umständen“. Kolbert fasst ihr Buch auf den letzten Seiten folgendermaßen zusammen: „This has been a book about people trying to solve problems created by people trying to solve problems“. Die unmittelbar vorhandenden, gegebenen und überlieferten Umstände sind also nicht nur Probleme, von denen man gar nichts wusste, sondern teilweise auch solche, die überhaupt erst entstanden, als eigentlich ein anderes Problem gelöst werden sollte. Wie im Falle der Träume von Orr in The Lathe of Heaven.

Im letzten Drittel von Under a White Sky geht es um Geoengineering, also um Versuche, das Klima wieder in den Griff zu bekommen, indem man das Klima noch mehr beeinflusst. Am eindrucksvollsten zeigt sich Kolberts Thema aber im ersten Abschnitt. Im späten 19. Jahrhundert wurde der Chicago River, der durch die gleichnamige Stadt fließt, umgekehrt. Er mündete nicht mehr im Lake Michigan, sondern floß dank eines komplexen Systems aus Dämmen, Kanälen und Schleusen aus diesem heraus, denn der Fluss war zu schmutzig (durch Abwasser und Schifffahrt), und der See zu wichtig (als Trinkwasserquelle für Chicago). Durch den Chicago Sanitary and Ship Canal fließt der River Chicago nun in den Des Plaines, von da in den Mississippi, und mündet somit schließlich im Golf von Mexiko. Das Problem: im Mississippi leben asiatische Karpfen, in den USA eine invasive Spezies, welche das Ökosystem des Lake Michigan nachhaltig zerstören könnte. Also wurden schließlich elektrische Barrieren im Verbindungskanal installiert, die den asiatischen Karpfen (aber nicht kleinere Fische) daran hindern sollen, flussaufwärts zu schwimmen. So kommt Kolbert zu einer prägnant-ironischen Beschreibung ihres Themas:

If there is to be an answer to the problem of control, it’s going to be more control. Only now what’s got to be managed is not a nature that exists — or is imagined to exist — apart from the human. Instead, the new effort begins with a planet remade and spirals back on itself — not so much the control of nature as the control of the control of nature. First you reverse a river. Then you electrify it.

In den ersten Zeilen des Buches warnt Kolbert, dass man mit Metaphern und anderen Abstraktionen vorsichtig sein muss, „Rivers make good metaphors — too good, perhaps“. Die Eindrücke, die sie vermittelt, bleiben stets lokal. Man liest vom Flusssystem um New Orleans seit Hurricane Katrina; von den Teufelskärpflingen, die nur noch in einem einzigen unterirdischen Wasserreservoir in Nevada leben; von der inzwischen verlassenen antarktischen Militärbasis Camp Century. Es geht stets nicht nur um „Natur“ als imaginierten Urzustand, sondern um eine Natur, die bereits von Menschen beeinflusst ist, und die man nun nicht mehr einfach in Ruhe lassen kann, in der Hoffnung, so wieder alles in Ordnung zu bringen. Dementsprechend erzählt Kolbert auch immer von den Wissenschaftler*innen und anderen menschlichen Akteure vor Ort, vom beeindruckenden Miniaturmodell (Größenverhältnis 1:6000) des Mississippi Flusssystems an der Louisiana State University, von den Zäunen, die längst um das Teufelsloch gebaut werden mussten, um die Kärpflinge vor potenziell speziesvernichtendem Vandalismus zu schützen und von Gruppen von Studierenden, die bei Korallenexperimenten aushelfen. 

Kolbert versteckt auch ihre eigene Präsenz nicht — nicht im Sinne eines solipsistisch ausartenden New Journalism, sondern schlicht, weil auch sie als Umweltjournalistin Teil dieses Ökosystems ist. Das Buch umfasst ungefähr 200 Seiten, ohne Corona-Pandemie wäre es vielleicht länger, denn einige ihrer Forschungspläne wurden durch COVID-19 durchkreuzt. Doch auch diese potenzielle Unfertigkeit passt eigentlich ganz gut, es geht nunmal um unfertige Geschichte(n), um kleine Detailreisen, die man nicht allzusehr als großangelegte Metaphern für die Weltsituation ausschlachten sollte.

Gefährliche Lösungsvorschläge

Dass das Buch derart „klein“ angelegt ist und sich scheut, klare Lösungen darzubieten, sondern lieber problematisiert, liegt vielleicht auch am bereits erwähnten Silent Spring von Rachel Carson. Die asiatischen Karpfen landeten nämlich erst im Mississippi, nachdem Silent Spring auf die Gefährlichkeit von chemischen Insektenvernichtern hinwies. Im Buch selbst schreibt Carson, dass invasive Spezies genauso schädlich für ein Umweltsystem sein können, aber die message des Werkes wurde häufig darauf reduziert, „chemische“ durch „natürliche“ Lösungen zu ersetzen. Das bekannteste Beispiel für eine invasive Spezies ist wohl die Agakröte (cane toad), die in Australien in den 1930ern eingeführt wurde, um Zuckerrohrplantagen vor Schädlingen zu schützen; stattdessen wurden die Agakröten selbst zu einem viel gravierenderen Problem. Ähnlich kamen auch die asiatischen Karpfen 1963, einem Jahr nach Carsons Buch, in die USA, als mögliche Pestkontrolle von Flüssen. Stattdessen begannen sie, fragile Ökosystem zu zerstören. Auch Bücher können unbeabsichtigte Konsequenzen haben; und am Ende muss man einen Fluss elektrifizieren. 

Gleichzeitig ist diese Vorstellung des gefährlichen Buches wohl fast romantisierend — welche Veröffentlichung hat heute schon noch so viel Einfluss wie Silent Spring? The Ministry for the Future hat es auf die jährliche Liste an Büchern, Filmen und Musikalben geschafft, die der ehemalige Präsident Barack Obama empfiehlt, Under A White Sky wurde von Barack Obama und Bill Gates empfohlen, aber es scheint klar, dass kein einzelnes Buch mehr einen derartig großen Einfluss auf die Politik haben kann. Man muss sich also vielleicht vor allem von der Vorstellung verabschieden, dass das Lesen von Büchern von ganz allein die Welt verändert. Für Fredric Jameson ist die Science-Fiction seit jeher eine Möglichkeit, Utopien zu erschaffen und so die Vorstellung einer besseren Welt zu ermöglichen. 

Für viele Linke war die verzweifelte Diagnose der letzten Jahrzehnte, dass der Neoliberalismus einen derartigen Siegeszug hatte, dass uns das Nachdenken über alternative Lebenswelten ganz und gar abhanden gekommen war: There Is No Alternative, beziehungsweise die auch in Deutschland bekannte „Alternativlosigkeit“. Doch spätestens seit 2020 scheint klar, dass es uns nicht an Vorstellungskraft mangelt, sondern vor allem an politischer Macht, Vorstellungen in Realität zu verwandeln. Gute Literatur kann da ein erster Schritt sein, aber mehr eben nicht. Am Ende muss man diese Texte wohl wie Ludwig Wittgensteins Leiter behandeln: Wer das Buch versteht, muss über das Buch hinaussteigen, „sozusagen die Leiter wegwerfen, nachdem er [sic] auf ihr hinaufgestiegen ist“. Aber die Bücher zuerst zu lesen, lohnt sich auf jeden Fall.

Photo by Kelly Sikkema on Unsplash

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