Kategorie: Kolumne

Letzte Ausfahrt „Tatort“-Münster

von Dax Werner

 

Mitte der 2010er-Jahre war ich das erste und einzige Mal auf einem WG-Abend, bei dem wir gemeinsam den Tatort geguckt haben. Das Treffen war konkret als “Tatortabend” deklariert, ich kann mich nicht mehr erinnern, welche:r Kommissar:in oder welches Duo in der Folge ermittelte oder worum es ging. Wir bestellten Pizza und konnten der Handlung gut folgen, obwohl wir uns parallel zum Film von unserem Wochenende erzählten. Es fühlte sich nicht hundertprozentig cool an, aber auch nicht grundfalsch, vielleicht ein bisschen flau, in jedem Fall ziemlich studentisch. Weiterlesen

Geschlechtervielfalt lesen – Geschlechtervielfalt schreiben [Queering Literaturbetrieb]

 

Neue Kolumne: Queering Literaturbetrieb
In den letzten Jahren ist ein Trend queerer Literatur auszumachen, in Übersetzung feiern Autor*innen wie Ocean Vuong, Maggie Nelson oder Edouard Louis große Erfolge. Dennoch haben queere Autor*innen in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, aber auch im Literaturbetrieb, immer noch zu wenig Präsenz und Mitspracherecht. Diskriminierung, Sexismus, LGBTIQ+-Feindlichkeiten und Ignoranz gehören leider weiterhin zum Alltag. Die neue Kolumne Queering Literaturbetrieb widmet sich in kurzen Essays den Dissonanzen zwischen Literaturproduktion und Verlagswesen. Sie fragt nach dringlichen Themen und Diskursen innerhalb der Gruppe der queeren Schreibenden. Eva Tepest, Katja Anton Cronauer, Kevin Junk und Alexander Graeff haben sich als Autor*innen zusammengeschlossen, um mit dieser neuen Kolumne den aktuellen Wasserstand der queeren, deutschsprachigen Literatur auszuloten. Sie wollen mit ihren Essays individuelle Erfahrungen aus den verschiedenen Berufs- und Lebensrealitäten zusammentragen und zugleich ein größeres Bild von aktuellen Chancen, Ambivalenzen und Missständen aufzeigen. Weiterlesen

Raunen für Clicks

Von Peter Hintz

 

Botho Strauß spricht wieder zu uns. In gewohnt metaphernreicher Sprache heißt sein neuester Aufsatz Der Leviathan unserer Tage. Es gehört nun zu den etablierten Kuriositäten der deutschen Nachrichtenmedien, dass dort alle 3-5 Jahre ein neuer, kulturkritischer Großessay von ihm erscheint. Diese Texte verstehen sich in der Nachfolge seines Aufsatzes Anschwellender Bocksgesang (1993), der während der Jugoslawienkriege dem bürgerlichen Ressentiment gegen Geflüchtete Ausdruck verlieh und zum Gründungsdokument der Wendegeneration der sogenannten Neuen Rechten wurde. Traditionell wählt Strauß für diese Textsorte nicht etwa – wie in kulturkritischer Praxis zu vermuten – eine Literaturzeitschrift mit winzigem Publikum, sondern entweder den Spiegel, oder, wie für seinen neuesten Essay, Die Zeit. Weiterlesen

Podcast-Kolumne: „How Was Your Week?“

von Svenja Reiner

 

Erinnerungen sind eine tricky Angelegenheit. Im Rückblick fällt es schwer zu unterscheiden, welche Details wichtig sind und welche nostalgisch-romantische Erinnerung an das frühere Ich. Daher mache ich es kurz: Durch Umstände, die anderswo ausführlicher erzählt werden könnten, immatrikulierte ich mich vor 11 Jahren ohne ausreichende Sprachkenntnis in einen englischsprachigen Studiengang. Aus Furcht darüber, direkt wieder rausgeworfen und in meine Heimatstadt zurückgeschickt zu werden, begann ich, möglichst viele englischsprachige Medien zu konsumieren und landete schließlich bei Podcasts, weil man sie sogar zwischen Audimax und Netto hören kann. Weiterlesen

Spaßmaschine – Weibliche Autorenschaft und Ambition

von Katharina Hartwell

 

Anfang des Jahres erkundigte sich ein Bekannter nach dem Stand meiner Arbeit. Er wusste, dass ich seit einigen Jahren an einer Trilogie schrieb, deren erster Band kürzlich erschienen war. Da der zeitliche Abstand zwischen dem Erscheinen der einzelnen Bände höchstens ein Jahr betragen sollte, ich aber länger zum Schreiben brauchte, arbeitete ich seit einer geraumen Weile vor. Unmittelbar nach Erscheinen des ersten Bandes hatte ich also bereits mit dem dritten begonnen. Als ich dies meinem Bekannten  erklärte, gab er ein Prusten von sich, „Du Maschine“. Weiterlesen

Fantasierte Maulkörbe – Über den Offenen Brief des PEN zu Lisa Eckhart

von Andrea Geier

Die Präsidentin des deutschen Ablegers des Schriftsteller*innenverbandes PEN, Regula Venske, warnte am 10. August 2020 in einem Offenen Brief vor einer falschen Reaktion auf Gewaltdrohungen gegen Künster*innen und Veranstaltungen: „Ob die Gewalt von rechten oder linken Extremisten, von religiösen Eiferern oder Psychopathen angedroht wird: Wir dürfen uns ihr nicht in vorauseilendem Gehorsam beugen.“ Weiterlesen

Tröstende Fiktionen – ‚Der Boden ist Lava‘ in Zeiten der Pandemie

 

Im Wohnzimmer auf der Couch stehen und ohne den Boden zu berühren zum Sofatisch hüpfen; von dort auf einen Stuhl und dann auf die umgekippte Spielzeugkiste; von dort zum Teppich vor der Tür und dann in Sicherheit. Eine Spielidee, die wohl die meisten in irgendeiner Form aus ihrer Kindheit kennen und die auf Englisch “The Floor is Lava” heißt. Eine Netflix-Show nimmt jetzt die Prämisse dieses Kinderspiels auf und lässt in einer speziell dekorierten Halle jeweils drei Teams mit je drei Personen gegeneinander antreten. In den Medien fallen in der Beschreibung von Der Boden ist Lava oft Begriffe wie “hirnlos” oder “Trash-TV”, bei den Zuschauenden ist die Show jedoch ein großer Erfolg, mit ausgesprochen umfangreicher Resonanz in den sozialen Medien. Warum ist dieses absurd anmutende Konzept gerade jetzt so erfolgreich und hat diese Show wirklich die Stimmung im Lockdown gerettet, wie ein Guardian-Autor behauptet (“Floor Is Lava is great. It has saved lockdown.”) und wenn ja, warum? Weiterlesen

Zwei D-Mark pro Zeile – Wie ich einmal ein professioneller Literaturkritiker wurde

von Jan Kutter

 

Professionelle Literaturkritik gebe es im Feuilleton, an den “elektronischen Stammtischen” des Internets hingegen ertöne nur Amateurgeschnatter, meinte kürzlich die Kritikerin Sigrid Löffler — und erntete damit postwendend einiges Geschnatter. Doch was ist eigentlich das Professionelle an Literaturkritik, und aus welchen Gründen sollte sie nur in gewerblichen Medien, aber im Netz nicht möglich sein? Bevor ich vor beinahe zwanzig Jahren ein Blog startete und vor zwölf Jahren mit der Twitterei begann, also ein elektronischer Stammtischbruder wurde, arbeitete ich gelegentlich als professioneller Literaturkritiker im soliden, unscheinbaren Mittelbau des deutschen Feuilletonats. Ich tat es für Geld. Weiterlesen

Erschöpfungsfeuilleton – Über journalistische Ohrwürmer

von Simon Sahner

 

Es gibt Songs, die will man immer wieder hören. Man kennt jeden Ton des Intros, jede Zeile der Strophen und den Refrain kann man in jedem Zustand noch mitsingen. Auch wenn es oft nicht die besten Songs sind, haben sie immer wieder den gleichen positiven Effekt – sie machen Spaß. Anders verhält es sich mit einer bestimmten Sorte Meinungsäußerungen im Feuilleton. Auch hier gibt es die Klassiker, die alle kennen, man hat sie in jedem Wortlaut schon einmal gehört. Ihre Ressentiments sind zu anstrengenden Ohrwürmern geworden, die man nicht mehr los wird, und doch wird auch hier der immer gleiche Refrain wiederholt. Während der Song, den alle auf einer Party mitsingen können, die eingeschlafene Fete noch einmal herumreißt, ist die ständig wiederholte Feuilletonmeinung ein Sedativum für die Debattenkultur. Weiterlesen