Nach dem Abi und bis in die ersten Semester meines Studiums war ich hart im Nehmen: Becketts Molloy, Koeppens Treibhaus und Wondrascheks Kelly Briefe sind nur drei Beispiele für Bücher, die ich heute wahrscheinlich abbrechen würde. Dabei handelt es sich, zumindest bei den ersten beiden, um Werke, die die Literatur nachhaltig geprägt haben; Koeppen jedenfalls die im Deutschland der Nachkriegszeit. Aber keines dieser Bücher ist einfach zu lesen, meistens habe ich mich gequält und kann bei den letzten beiden nicht mal mehr sagen worum es ging (bei Treibhaus springt am Ende ein Politiker von der Brücke glaube ich).
Thomas Bernhard gehört als Autor und mit seinem außergewöhnlichem Werk ebenfalls zu einem der ganzen Großen deutschsprachigen Schriftsteller nach ‘45 (ich würde ihn allerdings lieber in einem Atemzug mit Beckett aussprechen als mit Koeppen und Wondraschek). Holzfällen, auf das ich erst durch Daniel Kehlmanns klugen Essay aus Lob aufmerksam wurde, ist eine scharfzüngig-bösartig geschriebene Betrachtung der Intellektuellen und Kulturschaffenden Wiens, liest sich wunderbar unanstrengend und Bernhards Wut, sein Abscheu sind schockierend treffend und zugleich amüsant. Holzfällen hat mir dabei besser gefallen als Der Untergeher, obwohl michhier die Glenn Gould Bezug sehr interessiert hat.
Dieses Jahr kam zum 50-jährigen Jubiläum des Erscheinen von Bernhards erstem Roman Frost ein besonders schönes Buch im Suhrkamp Verlag heraus. Mit Argumente eines Winterspaziergängers werden erstmals Auszüge aus dem gleichnamigen Manuskript und Leichtlebig, die ersten Versuche Bernhards zu dem Roman, der später Frost werden sollte, veröffentlicht. Dieser verstörte damals, der schmale Grad zwischen Interpretationsfähigkeit der Geschichte eines Genies und den zusammenhangslosen Wortkaskaden eines Irren, spaltete die Kritiker und Frost gehört sicher von der Schwierigkeit des Erschließens nahe zu Molloy.
Nun sind also zwei der Ursprünge dieses so bedeutenden Erstlings erstmals veröffentlicht: Bei Argumente eines Winterspaziergängers sticht die Nähe zu dem Text ins Auge der später Frost werden sollte, daher keine leichte Lektüre, die vor allem durch die Zerrissenheit des Manuskripts, die vielen Punkte und Unterbrechungen gesteigert wird. Leichtlebig, die bedrückende Geschichte des Eisenbahners selbigen Namens, liest sich dagegen sehr viel leichter, aber nicht weniger bedrückend. Bernhards starke Sprache ist bereits erkennbar, seine Sicht auf die Dinge und die Welt in ihrer Resignation und ihrem Pessimismus bereits erkennbar. Vieles was den späteren Bernhard ausmacht ist hier bereits zu erahnen, wenn nicht schon zu erkennen.
Aber Achtung! Bei diesem Buch handelt es sich um keinen guten Einstieg für Bernhard Novizen, dagegen aber um ein interessantes Stück Literaturgeschichte. Nimmt man Frost vor, während und nach der Lektüre zur Hand, liest quer und vergleicht oder betrachtet man das Faksimile des Manuskripts, nimmt man an dem Entstehungsprozess eines Buches und ein stückweit auch an der Entwicklung eines Schriftstellers teil. Für jeden Leser, den auch die Entstehung eines Buches und die Entwicklung der Literaturgeschichte interessiert eine unglaubliche Bereicherung.
Also Achtung! Möge es doch mehr solche Bücher geben, die uns durch den Nachdruck der Entwicklungen, die Abbildung von Manuskripten einen Einblick in das Schaffen der großen Literaten unserer Zeit geben.
Der Bernhard-Neuling greife besser zu Holzfällen, der Bernhard-Fan aber unbedingt zu dieser interessanten Neuerscheinung!