Autor: Sandra Beck

Wiederentdeckungen – Gabriele Tergits komplizierter Nachruhm

von Sandra Beck

Die kulturpolitische und literaturwissenschaftliche Daueraufgabe einer kritischen Auseinandersetzung mit dem literarischen Gedächtnis wird in den Feuilletons der Gegenwart vor allem im Begriff der ‚Wiederentdeckung‘ greifbar. Dies ist eine wohlfeile, auch auf marktökonomische Interessen abgestimmte Floskel, allerdings auch eine mächtige Handlungsvokabel. Denn einerseits trägt sie Publikum und Literaturwissenschaft ein Nachzuholendes auf und korrigiert ein kulturelles Gedächtnis, das zu lange und zu Unrecht vergessen hat. Andererseits schützt sie vor dem Vorwurf der Missachtung, der gänzlich fehlenden Rezeption, denn wiederentdecken lässt sich nur, was man einmal bereits kannte.

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John McClane im Bade – Weihnachten mit „Die Hard“

von Sandra Beck

In meiner persönlichen Filmbiographie hat Die Hard einen eigenen Platz. Einerseits ist das historische Datum meiner Erstrezeption mit Weihnachten verbunden. Denn das erste Mal habe ich die Schweinebackerei und den Hohoho-Showdown zwischen John McClane (Bruce Willis) und Hans Gruber (Alan Rickman) als Stirb langsam irgendwann in den 90er Jahren gesehen, als ich mich – ebenfalls zum ersten Mal – geweigert habe, nach dem Kindergottesdienst auch noch die Christmette im Dom zu besuchen. Blut, Gewalt, Fluchen und seltsames Deutsch on screen, Krippe, Christbaum, ausgepackte Geschenke schräg rechts neben den Fernseher. Andererseits markiert das Sehen des Filmes ein Gegenkonzept zu einem Weihnachten, dessen familiär verordneten Rituale und Zeremonien wesentlich durch die Gottesdienst-Besuche getaktet wurden. Anders formuliert: Bedingung dafür, den Film zu sehen, war der kurzzeitige Austritt aus dem Familienverbund, denn alle anderen sind in die Kirche gegangen.

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Lächerliche Verbrechen – Über Krimiparodien

von Sandra Beck

 

Kriminalliteratur tritt gegenwärtig auch mal mit einer Covercollage aus Kuckucksuhr, Sekt, Guglhupf, brennenden Geldbündeln und Bombe in Erscheinung. Seit Ende der 1980er Jahre gehört der Regionalkrimi zu den Standardvarianten des Genres. Beginnend mit Jacques Berndorfs Eifel-Krimis um Siggi Baumeister – u.a. Eifel-Blues (1989), Eifel-Gold (1993), Eifel-Filz (1995), Eifel-Schnee (1995), Eifel-Feuer (1996), Eifel-Rallye (1997), Eifel-Jagd (1998), Eifel-Sturm (1999), Eifel-Müll (2000), Eifel-Wasser (2001), Eifel-Liebe (2002), Eifel-Träume (2004), Eifel-Kreuz (2006), Eifel-Bullen (2012), Eifel-Krieg (2013) – hat regional und lokal verortetes kriminalliterarisches Erzählen nach und nach die gesamte Bundesrepublik als Tatort aberzählt. Ein unübersehbarer Schwerpunkt liegt dabei auf der kriminalliterarischen Vertextung von Bayern allgemein, dem Allgäu und der Alpenregion im Speziellen – oder wie Katharina Löffler resümiert: „Lüftlmalerei, erzähltes Ermitteln in Hüttengaudi-Ambiente vor weiß-rot-karierter Szenerie, Kommissare, inmitten von Kuhglockengeläut, hübsch aufbereitete Rustikalität“.1   Weiterlesen

Kriminalliteratur und Paranoia – Zwischen Wahrheitsfindung und Verschwörungsfiktionen

von Sandra Beck

 

In Klappentexten wird Kriminalliteratur als ein Genre vorgestellt, das immer neue Erzählungen von unvorstellbaren Abgründen produziert: „Doch in diesem Fall ist nichts, wie es scheint, und hinter jeder Wahrheit verbirgt sich eine weitere…“, heißt es etwa im Klappentext zu Linus Geschkes Finsterwald.[1] Die hyperbolischen Formulierungen suchen nicht nur Aufmerksamkeit für den Einzeltitel auf dem notorisch überfüllten Krimimarkt zu generieren, sondern erfassen überraschend präzise ein grundlegendes Prinzip kriminalliterarischen Erzählens. Folgt man dem Soziologen Luc Boltanski ist Kriminalliteratur ein Genre, das unsere Vorstellung von der Welt als Scheinrealität enttarnt: Weiterlesen

Gruppenbilder um Leichen – Die tote Frau in der Kriminalliteratur

von Sandra Beck

 

[CN: Gewalt, sexualisierte Gewalt]

„Beim Aufwachen dachte er an die toten Frauen.“[1] Dieser für sich genommen verstörende erste Satz aus Till Raethers Kriminalroman Fallwind entpuppt sich schnell als Einblick in die Gefühlswelt des Ermittlers Adam Danowski. Man ist erleichtert, dass es nicht schon wieder um psycho-narration aus der Perspektive eines männlichen Serienkillers geht, dessen Abgründe, zurückgebunden an frühkindliche Gewalterfahrungen und traumatisierende Mutterfiguren, als Leser:in auszuhalten wären. Auch wenn die Gefahr ausufernder lustmörderischer Phantasmen in Fallwind gebannt wird, indem sich der Roman in seiner Vielfalt von Erzählperspektiven auch weiteren bedrohten Frauenfiguren zuwendet, ist das Gefühl der Erleichterung merkwürdig schal. Weiterlesen

Die zwei Seiten von Law & Order – Über die kulturelle Diskrepanz von Bildern

von Sandra Beck

 

Es klafft ein Abgrund zwischen zwei Arten von Bildern – zwischen den mit Handykameras aufgezeichneten und live gesendeten Aufnahmen brutaler Übergriffe US-amerikanischer Polizist*innen und den in Serie geschalteten Fiktionen der police procedurals, den zahllosen Kriminalserien und -filmen, mit ihren empathischen, allzu menschlichen Ermittler*innen. Kathryn VanArendonk referiert dieses Nebeneinander von faktualen und fiktionalen Bildern in ihrem Artikel „Cops Are Always the Main Characters“: Weiterlesen